Milch ohne Kuh- Kommt Milch zukünftig aus Petrischalen ?
Die Zukunft

Milch ohne Kuh- Kommt Milch zukünftig aus Petrischalen ?

Milch produziert in Petrischalen statt in Kuheutern, gemolken von Menschen in weißen Kitteln statt in dreckigen Gummistiefeln: So könnte die Zukunft der Milchindustrie aussehen. Das Verfahren dahinter nennt sich Präzisionsfermentation. Es ermöglicht die Herstellung von Milch, die nie in Kontakt mit einer Kuh gekommen ist, sich jedoch in Geschmack, Farbe und Textur in keinem Punkt vom Original unterscheidet.

Hafer, Mandel, Soja, Erbse: Die Liste pflanzlicher Milchalternativen ist lang und die Ersatzdrinks werden immer beliebter. Ihre Verkaufszahlen steigen,1 während Kuhmilch immer seltener in den Einkaufswägen der Deutschen landet.2 Doch auch wenn Pflanzendrinks einen wachsenden Teil des Marktes einnehmen, trinkt der Großteil der Deutschen weiterhin das tierische Original.

Zwischen 2018 und 2020 haben sich die Verkaufszahlen für Milchersatzprodukte verdoppelt.1 Der Pro-Kopf-Verbrauch von Konsummilch, wozu Rohmilch, Vollmilch und teilentrahmte Milch zählen,3 sank von 56,3 kg im Jahr 2014 auf knapp 46 kg im Jahr 2022. 2

Um dieser hohen Nachfrage gerecht zu werden, wurden Milchkühe zu Hochleistungsmaschinen herangezüchtet. Lag ihre Milchleistung in den 1950ern noch bei 2,500 Liter Milch pro Jahr, sind es heute 8,000 Liter.4 Das schadet der Gesundheit der Tiere – sie werden öfter krank und sterben früher – und belastet die Umwelt. Bis ein Liter Kuhmilch im Supermarktregal landet, werden knapp 630 Liter Wasser verbraucht. Im Vergleich braucht es für einen Liter Hafermilch lediglich 48 Liter Wasser. Gleichzeitig entstehen bei der Produktion von Kuhmilch dreimal so viel Treibhausgase wie bei den Alternativen aus Soja, Reis, Hafer oder Mandel.5

Durch die Verringerung der Anzahl von Milchbetrieben und Weideland würde die Präzisionsfermentation viele Flächen für den Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten verfügbar machen.
Durch die Verringerung der Anzahl von Milchbetrieben und Weideland würde die Präzisionsfermentation viele Flächen für den Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten verfügbar machen.

Ressourcenverbrauch von Käse

Mehr Ressourcen als Kuhmilch selbst verbraucht jedoch ein Produkt, für dessen Herstellung sehr viel Milch benötigt wird: Käse. In ein Kilogramm Hartkäse fließen bis zu zehn Liter Milch.6 Entsprechend steigen CO₂-Fußabdruck und Wasserverbrauch für Käse erheblich. Die Treibhausgas-Emissionen vervierfachen sich von 1,4 CO₂-Äquivalenten für 1 kg Vollmilch, auf 6 CO₂-Äquivalente für 1 kg Hartkäse.7 Der Wasserverbrauch steigt für ein Kilogramm Produkt auf 5,000 Liter.8

Was sind CO₂-Äquivalente?

Um die Wirkung von Treibhausgasen, wie Kohlenstoffdioxid (CO₂) und Methan (CH4),  vergleichen zu können, wurden CO₂-Äquivalente eingeführt. Dabei wird die Menge eines Treibhausgases in die entsprechende Menge CO₂ umgerechnet, die über einen gegebenen Zeitraum dieselbe Erwärmung bewirkt. Das Ergebnis wird als CO₂ -Äquivalent angegeben. Die Wirkung von CO₂ dient als Vergleichswert und wird deshalb mit 1 angegeben. Mit dieser Methode lassen sich auch der Ausstoß von Treibhausgasen bei verschiedenen Produktionsabläufen vergleichen. 9

Milch ohne Kuh- Kommt Milch zukünftig aus Petrischalen ?

Doch auch wenn Käse für das Klima schädlicher ist als sein Ursprungsprodukt Milch, verzeichnet die Industrie hier keinen Rückgang bei der Nachfrage. Im Gegenteil: 2021 wurden in Deutschland 25.900 Tonnen mehr Käse hergestellt als im Vorjahr, auch 2022 lag die Herstellung nur knapp darunter.10 Weicher Brie, löchriger Emmentaler oder würziger Gouda: Der Industrie ist es bisher kaum gelungen, Ersatzprodukte herzustellen, die auch käseverliebte Gaumen überzeugen. Zu wenig schmecken “Genießerscheiben” und “Hirten-Genuss”, wie sich die Alternativen nennen, nach dem Original. 

Das könnte sich bald ändern.

Die arbeitslose Kuh: Wie Mikroorganismen zu Mini-Kühen werden

Kühe könnten in der Milchproduktion zukünftig ersetzt werden – durch Mikroorganismen. Und Landwirte durch Wissenschaftler. Entstehen würde ein Produkt, das sich in Geschmack und Verhalten nicht im Geringsten vom tierischen Original unterscheidet. Milch würde wie Milch und Käse wie Käse schmecken – und das ganz ohne Kuh. Das Verfahren dahinter nennt sich Präzisionsfermentation.

Schon vor Jahrhunderten erkannte man , dass vergorene Äpfel und Trauben zu Most und Wein werden können, dass aus Milch Joghurt werden kann, wen man sie stehen lässt, und dass mit Hilfe von Hefepilzen Brot gebacken werden kann.

Heute sind fermentierte Lebensmittel aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Zu Beginn der Fermentationsgeschichte wurden für den Prozess jene Mikroorganismen genutzt, die sich schon natürlicherweise auf den Lebensmitteln befinden. So benötigt man für die Herstellung von Sauerkraut lediglich Weißkohl, Salz und etwas Zeit. Die Bakterien auf dem Kohl übernehmen die Arbeit: Sie verdauen die Kohlenhydrate, der Kohl wird sauer, und für uns besser verträglich und sehr gesund. Schließlich begann der Mensch den Fermentationsprozess mit den Variablen Temperatur und Zeit zu kontrollieren. Anhand der Präzisionsfermentation können Mikroorganismen nun sehr gezielt ausgewählt, isoliert, gezüchtet und in ihrer Funktion programmiert werden.11

Für zellbasierte Milch kopieren Wissenschaftler das Gen von Kühen, welches für die Produktion von Milchproteinen sorgt, und fügen es in Hefepilze ein. Diese stammen aus derselben Familie, wie jene, die auch für fluffigen Hefeteig sorgen. Das Gen agiert dann wie eine Lehrerin, die den Hefen zeigt, wie sie Milchproteine herstellen. Haben die Hefen das einmal gelernt, gehen sie in Fermentern – das sind Behälter, in denen für Mikroorganismen optimale Bedingungen für die Fermentation herrschen – an die Arbeit: Sie vermehren sich und produzieren dabei Milchproteine – und zwar die gleichen Proteine, die auch in der weißen Flüssigkeit, die aus Kuheutern strömt, enthalten sind. Präzisionsfermentation macht Mikroorganismen also zu Mini-Kühen.

Proteine machen in Milch nur knapp über drei Prozent aus. Diese drei Prozent sind jedoch ausschlaggebend für ihren Geschmack. Die Milchproteine der Mikroorganismen werden dann mit Wasser, Vitaminen, Mineralien, nicht-tierischen Fetten und Zuckern zu tatsächlicher Milch vermischt.12 Da die Wahl dieser Inhaltsstoffe nicht länger der Natur, sondern den Wissenschaftlern obliegt, ist zellbasierte Milch frei von Cholesterin und Laktose.

Zukunftsaussichten von zellbasierter Milch


Auch wenn dies alles sehr futuristisch klingt, liegt diese Zukunft vielleicht gar nicht mehr so fern, wie man erst einmal meinen möchte. Menschen in Israel könnten bereits innerhalb eines Jahres in den Genuss von Produkten aus zellbasierter Milch kommen. Das gab das israelische Unternehmen Remilk Ende Juni 2022 bekannt.13 Remilk ist eines der größten Unternehmen, was zellbasierte Milch angeht, und kooperiert fortan mit der israelischen Central Bottling Company, die Coca Cola und Milchprodukte für Israel abfüllt. Kurz zuvor gab Remilk den Startschuss für die europäische Produktion: In Dänemark wird das israelische Unternehmen eine 7,5 Hektar große Präzisionsfermentationsfabrik bauen, die weltweit größte Fabrik dieser Art.14

Präzisionsfermentation könnte die in vielen Punkten kritisch zu betrachtende Milchkuhhaltung und die Tierindustrie im Allgemeinen obsolet machen. Denn nicht nur Milchproteine, auch jedes andere tierische Protein kann anhand des Verfahrens hergestellt werden. Subtrahiert man die vielen Kühe, die für die Milchproduktion nötig sind, subtrahiert man gleichzeitig das von ihnen produzierte Methangas. Das sorgt in der Theorie für eine weitaus bessere Klimabilanz der Labor-Milch im Vergleich zu traditionell hergestellter Euter-Milch. 

Treibhausgas Methan

Die schlechte Klimabilanz von Milch und Käse liegt vor allem an dem hohen Methangas-Anteil bei der Produktion. Methan ist ein 28-mal stärkeres Treibhausgas als CO₂,das Kühe während ihrer Verdauung produzieren. Sie atmen und pupsen es in die Atmosphäre. Bei den Massen an Tieren, die die Milchindustrie benötigt, sind das große Mengen.

Aktuell arbeitet die Industrie daraufhin, den Prozess “Milch ohne Kuh” bzw. “tierisches Protein ohne Tier” rentabel zu machen. Laut dem Thinktank “RethinkX” könnte das bereits 2025 der Fall sein.15

Skeptische Stimmen ziehen diese Aussagen jedoch in Zweifel und werfen Fragen zur praktischen Umsetzbarkeit von Präzisionsfermentation in großem Rahmen, sowie dem Energieverbrauch der Fabriken auf. Außerdem weisen sie auf mangelnde kulturelle Akzeptanz von Lebensmittel, die in Petrischalen gezüchtet werden, hin. Für viele Menschen gilt bei ihrer Ernährung: Bitte so natürlich wie möglich. In dieses Bild passen Lebensmittel aus dem Labor nicht. Zudem macht Präzisionsfermentation Landwirt:innen in der Milchindustrie überflüssig. Sie würden ihren Job verlieren, den ihre Familien unter Umständen schon seit Generationen ausüben.

Können die Unternehmen ihre Versprechen zu zellbasierten Lebensmitteln jedoch einhalten, hat Präzisionsfermentation das Potenzial, die Lebensmittelindustrie ordentlich aufzumischen. Die Biotechnologie bietet nicht nur die Möglichkeit, tierische Lebensmittel durch vegane Alternativen zu ersetzen. Auch der Nährstoffgehalt von Lebensmittel lässt sich durch das Verfahren beeinflussen und theoretisch erhöhen. Das dürfte besonders für Länder interessant sein, in denen nur eine einseitige Ernährung möglich ist.
Auch könnte Präzisionsfermentation Teil der notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft hinsichtlich Erderwärmung, zunehmenden Wetterextremen und wachsender Weltbevölkerung sein.

Hinweise
  1. BLE (2021), “Definitionen und Begriffe Milch und Milcherzeugnisse”, ble.de aufgerufen am 10.09.2023
  2. Sandra Ahrens (2023)“Milchleistung je Kuh in Deutschland bis 2022“, statista.com, aufgerufen am 10.09.2023
  3. Joseph Poore and Thomas Nemecek (2018) „Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers“ science.org, aufgerufen am 12.09.2023
  4. Dialog Milch (2015), “Milchlexikon: Käse”, dialog-milch.de, aufgerufen am 10.09.2023
  5. Guido Reinhardt, Sven Gärtner, Tobias Wagner (2020)  “Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland”, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Umweltbundesamt.de, aufgerufen am 10.09.2023
  6. European Environment Agency (2016), „Carbon, material and water footprint for different types of meat, dairy products, vegetables and fruit“, eea.europa.eu, aufgerufen am 10.09.2023
  7. Helmholtz Klima Initiative, Klimawissen, „Was sind CO₂ -Äquivalente“?, helmholtz-klima.de, aufgerufen am 10.09.2023
  8. BMEL (2021), „Versorgung von Milch und Milcherzeugnissen“, bmel.de, aufgerufen am 10.09.2023
  9. Errol Schweizer, “What Consumers Should Ask About Precision Fermentation“, Forbes.com, aufgerufen am 10.09.2023
  10. Paul Wood, Mahya Tavan, August 16, 2022“The changing face of protein production“ New Zealand Science Review, aufgerufen am 10.09.2023
  11. @Remilk_Foods, Post vom 28. Juni 2022, twitter/x.com, aufgerufen am 10.09.2023
  12. Jana Dahlke, 02. Mai 2022, „Milch ohne Kühe- Remilk baut weltweit größte Anlage in Dänemark“, agrarheute.com, aufgerufen am 10.09.2023
  13. RethinkX,Think Tank, 26. Februar 2020, „Precision Fermentation: What exactly is it?“, rethinks.medium.com, aufgerufen am 10.09.2023
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