Wie aus Alpkräutern Alpkäse wird
Unser Essen genau betrachtet

Wie aus Alpkräutern Alpkäse wird

Als würziger Brotbelag, zartschmelzend im Käsefondue oder in deftigen Käsespätzle – eigentlich kommen wir gar nicht oft genug in den Genuss dieses leckeren Lebensmittels, des Alpkäse. Neben dem besonderen Geschmack zeichnet den Käse auch die handwerkliche und traditionelle Art der Herstellung aus, sowie der kulturelle Wert, der mit der Alpwirtschaft in der Schweiz eng verbunden ist.

Das sanfte Klingeln und Läuten der Kuhglocken ist im Berner Oberland in den Sommermonaten ein ständiger, aber ebenso beruhigender Klang. In der Morgendämmerung sind Rosetta, Edelweiß und Enzian noch mit Grasen und Wiederkauen beschäftigt, bald werden sie und ihre Artgenossinnen jedoch zum Melken in die Alphütte getrieben. Dort hat jede ihren eigenen Stammplatz mit persönlichem Namensschild. Insgesamt 50 Kühe von 7 verschiedenen Bauern aus dem kleinen Ort Habkern bei Interlaken verbringen die Sommermonate von Mitte Juni bis Mitte Oktober auf der „Alp Scherpfenberg“.

Diese extensive Art der Viehwirtschaft hat in vielen Gebirgsregionen Tradition: Die Tiere werden im Winter in Stallungen gehalten und dürfen den Sommer über frische Gräser und Kräuter auf den Bergwiesen fressen.

Die gewonnene Milch und der daraus hergestellte Alpkäse dienen zum einen der Nahrungsmittelproduktion, jedoch hat die Beweidung der Alpflächen auch eine hohe naturschutzfachliche Bedeutung und trägt zum Erhalt der Kulturlandschaft bei. Die Gebirgsflächen mit vielen Lebensräumen für Tier- und Pflanzenarten würden sonst schnell an Biodiversität verlieren und nach einiger Zeit verbuschen. Zudem wirkt sich die Weidehaltung positiv auf die Tiergesundheit, die Konstitution und die Milchleistung aus.1,2

Die Viehhaltung im Allgemeinen und die Alpwirtschaft im Besonderen haben in der Schweiz einen großen kulturellen Wert. Viele Familien halten, oftmals auch im Nebenerwerb, Milchkühe, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. 

Vor allem der Alpabtrieb im Herbst wird groß gefeiert, die Kühe werden aufwändig geschmückt für den langen Marsch ins Tal, der von Groß und Klein begleitet wird.

In der Schweiz wurden im Sommer 2022 auf 6700 Alpbetrieben über 400.000 Rinder, 200.000 Schafe und Ziegen sowie viele andere Tiere gesömmert. Rund 5.500 Tonnen Alpkäse werden jedes Jahr produziert.3


Morgendliches Küheholen und Einstallen. (Foto von Annika Bullmann)
 

Von der Milch zum Käse

Jeden Morgen und jeden Abend werden die Kühe gemolken. Das Melken ist eine genügsame Arbeit, die sowohl Ruhe und Geduld als auch viel Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl erfordert. Jede Kuh hat ihre Eigenheiten – Rosetta möchte nur von der linken Seite gemolken werden, während Enzian ihre Milch nur sehr langsam hergibt, sodass zwischendurch Zeit für eine kleine Streicheleinheit ist. Die Milch wird in Eimern gesammelt, die dann wiederum sorgfältig in den Käsekessel geschüttet werden – Liter für Liter, alles per Hand. Im Schnitt sind es 15 Liter Milch pro Kuh und Tag. 


Melken (Foto von Annika Bullmann)

Die Leistung schwankt jedoch mit vielen Faktoren, wie zum Beispiel mit der Menge und der Qualität des Futters – je frischer und schmackhafter die Gräser, desto mehr Milch geben die Kühe. Im Laufe des Sommers nimmt die Milchleistung ab, denn das Gras wird älter und überständiger und hat geringere Nährstoffwerte. Besonders die zahlreichen verschiedenen Kräuter der Bergwiesen werden von den Kühen gerne gefressen und geben der Milch und am Ende dem Käse einen intensiven Geschmack.

In der alpeigenen Sennerei, also einer Käserei, wird die unbehandelte Rohmilch jeden Tag zu Käse verarbeitet. Das geschieht auf dieser Alp mit einem 600 Liter großen Käsekessel über dem offenen Feuer noch auf eine sehr ursprüngliche Art und Weise. Die Milch wird zuerst erwärmt und bei einer Temperatur von 32 °C mit einer Bakterienkultur angereichert. 

Die Kultur wird im Berner Oberland traditionellerweise jeden Tag von der Molke entnommen, anschließend bebrütet und entwickelt mit der Zeit eine unbekannte und individuelle Vielfalt an Milchsäurebakterien. Die Zusammensetzung nimmt später Einfluss auf den Geschmack, Geruch und Konsistenz des Käses. 

Anschließend wird das Lab hinzugefügt. Hierbei handelt es sich um ein Enzym, ursprünglich zur Milchverdauung im Magen von Kälbern oder Lämmern, das für die Gerinnung oder auch Dicklegung der Milch verantwortlich ist. 

Die puddingähnliche Milchmasse, die Gallerte, wird nun mit der sogenannten Käseharfe in kleine Bruchstücke geschnitten, dabei wird das Fett und das ausgefallene Eiweiß von der Molke, dem Wasseranteil im Käse, getrennt. Je kleiner die Stücke, beim Alpkäse etwa getreidekorn-groß, desto mehr Wasser tritt aus und desto fester ist am Ende der Käse. 

Der Käsebruch wird nun langsam weiter auf 52 °C erhitzt (“brennen”) und dabei ständig gerührt, sodass keine Klumpen entstehen. Währenddessen verlieren die Bruchstücke weiterhin Molke, werden fester, und gleichzeitig säuert die Masse. Milchsäurebakterien bauen den Milchzucker ab und ermöglichen damit das Haltbarmachen des  Käse. 

Wenn der Käsebruch die gewünschte Temperatur und Konsistenz erreicht hat, wird die Masse von Hand mit einem großen netzartigen Tuch ausgezogen und mit einem Seilzug in einen hölzernen Vorpressrahmen gesetzt, die Molke verbleibt im Kessel. 

Während des Vorpressens wächst die Käsemasse gut zusammen und ein großer Teil der Flüssigkeit kann austreten. Anschließend wird die Masse in gleichmäßige Stücke geteilt und in Järben, großen runden Käseformen, über Nacht gepresst. 


Käselaibe werden gepresst (Foto von Annika Bullmann)

Nach dem Pressen kommen die Käselaibe für 24 Stunden in ein Salzbad, hier wird die Säuerung gestoppt, das Salz sorgt für eine Konservierung und gleichzeitig auch für die Rinden- und Geschmacksbildung. 

Dann beginnt im Käsespeicher, einem Reiferaum mit hoher Luftfeuchte, die monatelange Reifung des Käses. Dabei werden die Laibe täglich gewendet und mit einer Salzlösung eingerieben, sodass sich eine Rotschmiere-Rinde bildet, die den Käse schützt und ihm später einen würzig-pikanten Geschmack verleiht.4

Infografik von Paulina Cerna Fraga

Der echte “Berner Alpkäse”

Für einen Käselaib, der zwischen 8 und 10 kg wiegt, werden ca. 100 Liter Milch benötigt. Beim Aufschneiden soll der Alpkäse „blind“ sein, also möglichst keine Löcher aufweisen. 

Im Berner Oberland wird der Käse als „Berner Alpkäse AOP“ bezeichnet und ist im Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen eingetragen. An dieses Label sind verschiedene Konditionen gebunden, wie beispielsweise die Herstellung des Käses auf einem Alpbetrieb sowie die Verarbeitung von unbehandelter Rohmilch. Zudem dürfen die Kühe während der Alpzeit nicht mit Silage zugefüttert werden, sondern grasen nur auf den extensiven Weideflächen ohne künstliche Dünger oder Pflanzenschutzmittel.5

Am Ende hat jede Alp ihre eigene Käsesorte mit alpeigenem Geschmack – es handelt sich um ein Naturprodukt aus einem natürlichen Rohstoff. Nicht nur die Milch unterliegt Schwankungen, auch viele Faktoren im Herstellungsprozess unterscheiden sich, sodass in jeder Sennerei ein einzigartiges Produkt entsteht. Während in industriellen und mechanisierten Käsereien viele Arbeiten von Maschinen übernommen werden, wird auf der Alp sehr viel Handarbeit in die Käseherstellung gesteckt. Die Milch wird direkt vor Ort verarbeitet und der Käse zu großen Teilen direkt vermarktet, es gibt kurze Transportwege und einen geringen Energie- und Ressourceneinsatz. Der Alpkäse ist also zurecht ein Lebensmittel, das eine sehr hohe Wertschätzung erfahren darf.


Unsichere Zukunft für die Alpwirtschaft

Dennoch stehen viele Alpbetriebe vor Problemen: 

“Eine große Herausforderung ist die kostspielige Instandhaltung und Modernisierung der Infrastruktur auf der Alp. Durch sich rasch ändernde Vorschriften und Gesetze, wie zum Beispiel Hygienebestimmungen, müssen Investitionen sinnvoll geplant werden”, erzählt Landwirt Heinz Tschiemer, dessen Kühe schon seit vielen Generationen den Sommer auf der Alp Scherpfenberg verbringen. Auch die Rückkehr von Großraubtieren, wie dem Wolf, kann zu erheblichen Schwierigkeiten für die Weidetiere führen - wie diese gelöst werden, ist noch unklar.  “Wir brauchen vom Gesetzgeber Planungssicherheit und entsprechende Fördermaßnahmen durch den Bund”, wünscht sich Heinz Tschiemer für die Zukunft. 

Noch dazu machen sich der Klimawandel und damit verbundene Sommertrockenheiten auch in den Gebirgsregionen bemerkbar.  Das kann zum einen zu Futtermangel oder Futterqualitätseinbußen führen, aber auch die Trinkwasserversorgung für die Kühe ist gefährdet. 

Zuletzt wird auch die Suche nach Alppersonal immer komplizierter: harte, lange Arbeitstage, verhältnismäßig wenig Lohn und einen Sommer bei der eigentlichen Arbeitsstelle fehlen.
So kommen viele Ausländer, vor allem viele Deutsche auf die Alp. Nicht nur Landwirt:innen oder Kuhliebhaber:innen, ebenso sind es Aussteiger:Innen, Studierende oder andere Abenteurer, die eine neue Herausforderung suchen.2  

Doch entgegen all der Unsicherheiten bleibt die Tradition und das kulturelle Erbe um die Alp in der Schweiz weiter bestehen und wird Sommer für Sommer von unzähligen Schweizer Bäuer:innen mit viel Leidenschaft fortgeführt.

 

Feierabend auf der Alp

Wenn sich der Tag dem Ende zuneigt, dürfen Rosetta und die anderen nach dem Melken wieder auf die Weide. Je weiter sich die Kühe von der Hütte entfernen, desto leiser wird das Klingen der Glocken, es hört jedoch nie ganz auf und begleitet einen wohlverdienten und friedlichen Feierabend.

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