„Damit wir Fleisch essen können, muss zuvor ein Tier sterben!“ | Portrait

„Damit wir Fleisch essen können, muss zuvor ein Tier sterben!“ | Portrait

Wenn ihr vegan oder vegetarisch esst, denkt ihr bestimmt genauso. Aber dieser Satz gewinnt eine andere Bedeutung, wenn ihn jemand ausspricht, der nach wie vor Fleisch isst und Rinder züchtet, um sie zu schlachten und das Fleisch zu verkaufen und zu verarbeiten. Spitzenkoch Ludwig Maurer züchtet Wagyu-Rinder und hat eine ganz eigene Philosophie von der Landwirtschaft

Tiefstes Niederbayern ist seine Heimat, ”Learning by Doing”  sein Motto, Fleisch schon immer sein Lieblings-Lebensmittel als Spitzenkoch, und doch passt der Hardrock und Harley-Fan Ludwig Maurer in kein einziges Klischeebild: Er führt ein eigenes Catering-Unternehmen und eine Kochschule, engagiert sich für regionale Lebensmittel und unterstützt kleine Manufakturen, ist Bio-Landwirt, züchtet seine eigenen Wagyu-Rinder und wirbt unermüdlich für eine „Lebens-bewusste“ Tierhaltung, wie er es nennt,  und eine nachhaltige Gastronomie.

Eine hügelige Landschaft mit vielen Tälern und alles in sattem Grün – eine Postkartenidylle, denke ich auf der Fahrt zum „Fleischpapst“ Ludwig Maurer, ein Spitzname, den ihm die Medien verpasst haben. Ja, er arbeitet am liebsten mit Fleisch, aber eigentlich rechtfertigt auch nur diese Tatsache die Bezeichnung. Denn Lucki, wie er sonst genannt wird, steht für einen extrem bewussten Umgang mit Tieren, der Landwirtschaft und den daraus produzierten Lebensmitteln. 

Ich treffe den Spitzenkoch und Biolandwirt draußen auf seinem Schergengrub-Hof, den er in vierter Generation von seinen Großeltern übernommen und ausgebaut hat. Wir schlendern zu seinen Rindern, während Lucki mir erzählt, wie er in Dänemark zum ersten Mal das Fleisch – von einem Privatmann aus Japan eingeschmuggelt  - eines japanischen Wagyu-Rind verkostet hatte und von dem Geschmack schier überwältigt wurde: „Nussig, fettig, intensiv und mit einem unvergleichlichen Schmelz“. Direkt neben dem Hof stehen und liegen seine 60 Tiere friedlich im Grün, 20 weitere sind auf Pachtwiesen. Insgesamt besteht die Herde aus 20 Fullblood Wagyus, 3 Zuchtbullen, und die übrigen Tiere sind Kreuzungen aus Wagyu- und Aberdeen-Angus-Rindern1.

Wagyu-Rinder und warum ihr Fleisch so teuer ist:
Wagyu-Rinder stammen ursprünglich aus Japan. Laut dem deutschen Wagyu Verband e.V. wurden die ersten Wagyus 1975 in die USA exportiert, bis 1975 hatten die USA die Genetik von ca. 220 Tieren. Danach verbot die japanische Regierung alle weiteren Exporte. Das besondere an den reinrassigen, insbesondere der schwarzen Wagyu-Rindern ist ihr marmoriertes Fleisch: Es ist intramuskulär von feinen Fettschichten durchzogen und nicht wie sonst bei Rindern üblich überwiegend nur am äußeren Rand. Da das Fett beim Erhitzen schon im Fleisch schmilzt, kommt ein unvergleichlicher Geschmack zustande. Je feiner die Marmorierung, desto wertvoller das Fleisch. Als das weltweit teuerste Fleisch gilt jenes der Kobe-Rinder aus der japanischen Region Hyogo. 


Mutterkuhhaltung in seiner Zuchtherde: 

„Schau mal, siehst du das? Das ist essentiell wichtig für mich!“ Mitten im Gespräch bricht Lucki ab und zeigt auf eine Kuh mit ihrem Kalb, die miteinander schmusen und gar nicht mehr aufhören. „Das ist Mutterkuhhaltung“, sagt L. und schaut wie ein gerührter Vater auf die zwei Tiere, „ich lass denen ihr natürliches Umfeld und nach der Geburt trinkt das Kalb die Milch von seiner Mutter und bleibt bei ihr, bis sie wieder trächtig wird.  Und jetzt schau dir mal diesen Bullen an“, und der Biolandwirt blickt voller Anerkennung auf ein etwas kräftigeres Kalb: „Der ist erst 8 Wochen alt und wiegt ungefähr 80 Kilo, den kannst du nicht mehr halten“! Ungläubig schaue ich den kleinen Bullen auf der Wiese an: Der soll soviel wiegen wie ein ausgewachsener Mann? Nur von Muttermilch und dem Gras auf der Weide plus ein bisschen Heu?

Lucki grinst. „Ja, genau“, sagt er , „die Wagyu-Rinder sind sehr gute Futterverwerter und bei mir sind sie bei Wind und Wetter 11 Monate auf der Weide.“ Mindestens 6 Jahre lang können die Rinder bei Lucki ein entspanntes Leben auf der Weide führen, dann werden sie entweder geschlachtet oder zur Zucht verkauft. Einen Teil der Mutterkühe behält er aber durchaus auch länger, die älteste Kuh ist die 18-jährige Anastasia. Zum Vergleich: Eine klassische Hochleistungs-Milchkuh lebt maximal 5 Jahre.

Wie alles begann – Schlüsselerlebnis an einem Burgerstand:

2006 war Ludwig Maurer auf der Eat&Style Messe in München 2 als Messekoch von einem Online-Gourmet-Fleischversand gebucht worden. An einem Burgerstand sollte er Wagyu-Fleischburger grillen, Verkaufspreis: 12,50 Euro pro Burger. Bei dem Preis wird er nicht viel los, dachte sich Lucki – und das Gegenteil war der Fall. Er kam fast nicht mehr nach mit Burgerbraten und nach dem 3. Messetag, auf dem Weg nach Hause, fasste Lucki  einen Plan, „einen Masterplan“: Er wollte eine eigene ökologisch geführte Wagyu-Zucht nach seinen Vorstellungen aufziehen und mit dem Fleisch die Spitzengastronomie beliefern. Über sein Netzwerk schaffte sich Lucki noch im gleichen Jahr seinen ersten Wagyu-Bullen aus einer Zucht im bayerischen Rottal an. Damaliger Kostenpunkt: 10.000 Euro. Weil ihm für weitere reinrassige Kühe das Geld fehlte, begann Lucki seinen Bullen mit drei Aberdeen Angusrindern zu kreuzen. Drei Jahre lang hat er gewartet, bis er das erste Mal schlachten konnte.


Die erste Schlachtung:

„Als ich meinen ersten Ochsen geschlachtet habe, war es eine ganz schwierige Entscheidung“, erzählt Lucki, und schaut etwas traurig zu seinen Rindern rüber, „als es soweit war, habe ich mir gedacht: Mist, was hast du denn jetzt gemacht?! Als Geschäftsidee war es ganz leicht, ich arbeite gern mit Fleisch, ich mag gern Fleisch und ich koche gern Fleisch, jetzt produziere ich es eben auch. Aber die Tiere wachsen mir eben auch ans Herz! Und da habe ich gedacht: Das ist Mord. Und in dem Prozess hat mir ein Freund mit einer Geschichte geholfen: Die Indianer haben die Büffel verehrt, weil sie ohne die Tiere gar nicht überlebt hätten. Die Krone von jedem Medizinmann war ein Büffelkopf. Und jedes Tier wurde nur mit hohen Bedacht und Respekt umgebracht und nie sinnlos. Und so musst du das sehen, hat der Freund gesagt. Das hat mir geholfen, die Tiere sind für mich Lebens-Mittel, durch sie kann ich meinen Lebensunterhalt bestreiten. Bis heute fällt mir eine Schlachtung nicht leicht, und ich hoffe, das bleibt auch so.“

Wieso Nose-to-Tail:

Als Lucki das 1. Mal geschlachtet hatte, fragte er zuvor in seinem Spitzenköche-Netzwerk nach Abnehmern. Und stellte fest, dass alle nur Edelteile wie Roastbeef oder Filet wollten. „Und dann habe ich das ganz am Anfang natürlich mitgemacht, und als die Edelteile weg waren, hatte ich von 450 Kilo Schlachtkörper immer noch 400 Kilo übrig. Was mache ich jetzt damit – Burger? Das kann doch nicht sein, dass ich das alles tot schmore und nur Gulasch und Hackfleisch daraus mache!“ Lucki begann zu experimentieren: Mit eigenen Schnitttechniken beim Zerlegen, progressiven Kochtechniken und seinem reichen Erfahrungsschatz aus den Küchen fast der ganzen Welt. Seine Antrieb war immer, alle Nicht-Edelteile  -  „B & C Cuts“ - so zuzubereiten, dass sie schmackhaft wurden und er aus ihnen ganz eigene Gerichte kreieren konnte. Heute  bietet er seinen Kunden nicht mehr nur einzelne Edelteile zum Verkauf an, sondern Rinderviertel,  – hälften oder auch ganze Tiere. Dazu zeigt er ihnen Zerlegetechniken, die er sich u.a. selbst erarbeitet hat, um so viel Fleisch wie möglich für eine Gourmetküche herauszuholen. Es bleibt nichts übrig bei ihm, nicht einmal die Rinderhaut - aus der lässt er Lederaccessoires oder Deko-Felle herstellen.

Das „fünfte Viertel“:
Im Oktober 2018 initiierte das Institut für Ernährungswirtschaft und Märkte der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft ein Marktforum zum Thema „Fünftes Viertel“: Ein Rind wird normalerweise in zwei vordere und zwei hintere Viertel zerteilt. Der Rest wie Innereien, ggf. Kopf, Schwanz und Füße wird häufig als 'fünftes' Viertel bezeichnet (Schlachtnebenprodukte). In Bayern (und Österreich) heißt das „fünfte Viertel“ auch Kronfleisch,. In München gibt es ein klassisch-bayerisches Wirtshaus, dessen Tradition bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht und das heute ca. 10% seiner Gerichte aus der „Kronenküche“ anbietet, Tendenz nach eigenen Angaben steigend.3

Luckis 4 Elemente:

Lucki verfolgt eine ganz eigene Lebens-Philosophie, man kann es auch sein Weltbild in Bezug auf die Landwirtschaft nennen: Für ihn gehen Tiere, Natur und die Menschen seit jeher eine Symbiose miteinander ein.  Sehr vereinfacht ausgedrückt bedeutet das: Alle können voneinander profitieren und jedem gebührt ein gewisser Respekt im Umgang miteinander. „Meine Tiere spüren die vier Elemente, die auch uns Menschen ein Lebensbedürfnis sind“, betont Lucki mit Nachdruck, um mir gleich darauf zu versichern, dass er weder gläubig noch esoterisch unterwegs sei. „Dass du nass wirst, dass dir die Sonne auf den Kopf und die Haut scheint, dass du den Wind spürst, und dass du den Mutterboden spürst. Und das war mein erster Ansatz und wichtigster Anspruch an die Tierhaltung“, erklärt der Bio-Landwirt. Von Anfang an hat Ludwig Maurer seine Wagyu-Zucht als solche zertifizieren lassen. Und wenn man ihm länger zuhört, spürt man auch die Wertschätzung, die er seinen Tieren entgegenbringt. Logisch, dass er jedem Tier einen Namen gibt. Und am Ende des Gesprächs kommt vorsichtig im regennassen Matsch balancierend  eine Kuh direkt auf uns zu: „Das ist Viktoria“, schmunzelt Lucki, „die habe ich mit der Hand aufgezogen“.  

Wie hat euch das Porträt über Lucki gefallen und was haltet ihr von seinen Ansichten? Wir freuen uns über eure Kommentare, die ihr weiter unten eingeben könnt.

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