In der modernen Landwirtschaft sehen und nutzen wir den Boden als Instrument zur Erzeugung unserer Lebensmittel. Jahrzehntelange intensive landwirtschaftliche Praktiken werfen nun jedoch Fragen nach deren Auswirkungen und nach der Fähigkeit unseres Bodens auf, weiter und langfristig produzieren zu können. Aber was wäre, wenn es einen Weg gäbe, Lebensmittel zu produzieren, der dem Boden nicht nur etwas nimmt, sondern ihm auch etwas zurückgibt?
Was ist regenerative Landwirtschaft ?
Es gibt zwar keine allgemeingültige Definition, doch im allgemeinen versteht man unter regenerativer Landwirtschaft einen Weg, Lebensmitteln mit geringeren oder potenziell positiven Auswirkungen auf die Umwelt zu erzeugen.1 Im Kern geht es um eine Art der Landwirtschaft, die die natürlichen Funktionen des Ökosystems mit einbezieht und unterstützt - von der Luft und dem Boden bis hin zur Vegetation und den Weidetieren. Es gibt keine bestimmte Technik oder Bedienungsanleitung für regenerative landwirtschaftliche Praktiken. Vielmehr geht es bei der regenerativen Landwirtschaft darum, anpassungsfähig zu wirtschaften und zu verstehen, wie die verschiedenen Aspekte der Umwelt zusammenwirken. Wenn sie gut umgesetzt wird, geht es darum, landwirtschaftliche Systeme zu schaffen, die nicht nur in der Lage sind, dem landwirtschaftlichen Druck standzuhalten, sondern auch aktiv die Widerstandsfähigkeit und Gesundheit dieser Systeme zu verbessern.
Wie unterscheidet sich die regenerative Landwirtschaft von der modernen Landwirtschaft?
Es gibt einen Schlüsselfaktor, der allen regenerativen Ansätzen gemeinsam ist: Der Boden ist das Wichtigste ! Im Gegensatz zu modernen landwirtschaftlichen Praktiken, die dazu neigen, die Auswirkungen gesunder Böden auf die Funktionen des Ökosystems zu vernachlässigen, stellen regenerative Methoden die Gesundheit des Bodens als Eckpfeiler der gesamten Produktion in den Vordergrund.2 Durch die Wiederherstellung degradierter Böden und die Verbesserung der Bodengesundheit kann die regenerative Landwirtschaft die Artenvielfalt, die Gesundheit der Vegetation, die Grundwasserqualität und die Kohlenstoffbindung verbessern und sogar die langfristige Produktivität unserer Böden steigern.2
Fünf Schlüsselprinzipien der regenerativen Landwirtschaft
Die regenerative Landwirtschaft folgt einigen allgemeinen Grundsätzen, die die Gesundheit des Bodens in den Mittelpunkt stellen:
1. Störe den Boden nicht
Weniger auf den Boden einzuwirken, indem man ihn vor der Aussaat nicht bearbeitet, oder die aktive Wiederherstellung von Ökosystemen des Bodens nach der Bodenbearbeitung, kann eine Reihe von positiven Auswirkungen haben. Der Boden ist besser in der Lage, mit jahreszeitlichen Temperaturschwankungen umzugehen, Feuchtigkeit zu speichern und zu transportieren und ganzjährig belüftet zu bleiben. Darüber hinaus kann der Boden seine ursprüngliche Struktur besser bewahren, so dass lebende Wurzeln im Boden verbleiben können, was dazu beiträgt, Nährstoffe zu binden, die sonst durch Auswaschung verloren gehen würden. Eine geringere Umwälzung des Oberbodens kann auch die physische Struktur des Bodens verbessern, ihn widerstandsfähiger machen und ihn vor Erosion schützen - zum Beispiel vor dem Wind, der lockere, trockene Böden nach der Bodenbearbeitung wegbläst.3
2. Decke den Boden ab
Wenn Du gesunde Böden sehen willst, solltest Du sie nicht oft sehen.4
Indem man den Boden mit Pflanzen bedeckt (vor allem während der regenreichen Jahreszeiten) wird das riesige Netz der Mikroorganismen, die im Boden leben, vor den rauen Elementen geschützt. Wenn zum Beispiel Regen auf die nackte Erde trifft, löst er lockeren Boden und setzt damit den Erosionsprozess in Gang. Deckfrüchte und Pflanzenreste verringern die Auswirkungen der Erosion durch Regen in hohem Maße, wobei zu 100 % mit Pflanzen bedeckte Flächen bis zu 1000-mal weniger Erosion aufweisen als vergleichbare Flächen ohne Abdeckung.5 Darüber hinaus schützt die Abdeckung die Wurzeln sowohl vor Winterfrost als auch vor heißeren Trockenperioden. Durch die Unterstützung der Wasserrückhaltung und der Verringerung der Auswaschung kann die Bodenbedeckung in Regionen mit Wasserknappheit als natürliches Mittel zur Lösung der damit einhergehenden Probleme dienen.
3. Lass die lebenden Wurzeln in der Erde
Früher glaubte man, dass die Böden zwischen den Ernten Ruhe brauchen, doch eine Vielzahl von neuen Forschungsergebnissen legt das Gegenteil nahe. Indem man eine Deckfrucht mit lebenden Wurzeln zwischen der Bepflanzung mit Nutzpflanzen beibehält, wandelt die Deckfrucht ständig Sonnenlicht in Zucker um und gibt Exsudate in den umgebenden Boden ab, die dazu beitragen, die Effizienz des Nährstofftransfers zwischen dem Boden und den nahe gelegenen Pflanzenwurzeln zu steigern. Diese Ausscheidungen fungieren als "Signalboten" zwischen Bodenmikroben und Pflanzenwurzeln und ermöglichen ihnen eine effiziente Kommunikation. Ohne sie kann die Kommunikation zwischen den Bodenmikroben, die die Pflanzenwurzeln mit Nährstoffen versorgen, unterbrochen werden, so dass die Pflanzen, die den Boden nutzen, Schwierigkeiten haben, an die Nährstoffe heranzukommen und an Mangelerscheinungen leiden.6
Lebende Wurzeln sorgen auch dafür, dass Nährstoffe, die zwischen den Erntezeiten verloren gehen würden, optimal genutzt werden. Über den Winter oder zwischen den Ernteperioden gehen die Nährstoffe im Boden oft durch Auswaschung oder Erosion verloren, wodurch wertvolle Energie verschwendet wird, die für das Wachstum genutzt werden könnte. Lebende Wurzeln fungieren als Nährstofffänger, die ungenutzte Nährstoffe binden und sie für die nächste Saison zur Verfügung stellen. Als ob dies nicht schon überzeugend genug wäre, können Deckfrüchte und ihre natürlichen Wurzelsysteme sogar unerwünschtes Unkrautwachstum auf natürliche Weise unterdrücken - was weniger Einsatz von Pestizide bedeutet.7
4. Erhöhe die Diversität der Bepflanzung (Polykultur)
Ähnlich wie bestimmte Pflanzen bestimmte Bedingungen benötigen, um gut zu wachsen, benötigen auch die Mikroben im Boden bestimmte Pflanzenarten, um zu gedeihen. Wenn wir konsequent Monokulturen anbauen, reduzieren sich die Mikroben im Boden auf einige wenige, die mit dieser Pflanzenart gedeihen.7 Warum ist das ein Problem? Nun, ähnlich wie unser Körper verschiedene Bakterien braucht, um gesund zu bleiben, sind auch Ökosysteme im Boden durch Vielfalt stärker. Ohne ein vielfältiges System von Mikroben können Böden in ihrer Fähigkeit, das Leben von anderer Vegetation zu unterstützen, eingeschränkt werden, wodurch sie für viele andere Pflanzenarten weitgehend unwirtlich werden. Durch den Anbau von artenreichen Deckfrüchten zwischen der Bepflanzung mit Nutzpflanzen wird die Vielfalt der Wurzelökologie direkt in eine größere Vielfalt der Bodenökologie umgesetzt.8
Dadurch entstehen gesündere und ausgewogenere Ökosysteme im Boden mit stabileren Bodenstrukturen, die wiederum zu einer besseren Wasserrückhaltung und einer höheren Kohlenstoffspeicherung im Boden führen.Diese Praxis birgt auch ein großes Potenzial für wasserarme Regionen mit eher trockenem Klima.
5. Beziehe Tiere mit ein
Der fünfte und vielleicht umstrittenste Grundsatz ist, Tiere in das System mit einzubeziehen. Ein gemischtes Anbausystems mit Tierhaltung zu schaffen, kann sowohl für die Landwirte als auch für das von ihnen bewirtschaftete Land eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen. Ökonomisch gesehen bieten Mischkulturen den Landwirten ein ganzjähriges Einkommen durch das Angebot verschiedener Produkte, wodurch die Abhängigkeit von einer einzigen Kultur oder einer einzigen Saison verringert wird. Ökologisch gesehen können bei richtiger Bewirtschaftung auch Boden, Gemüse und Vieh von diesem Ansatz profitieren. Wenn das Weidevieh im Rahmen einer Rotation zwischen den Weiden wechselt, können sich die Tiere von Gräsern und Deckfrüchten ernähren, während die Böden und Gräser genügend Zeit haben, sich zu erholen. Für die Tiere ist das Fressen von Deckfrüchten oder Überbleiseln günstiges Futter und eine kostengünstige Möglichkeit, ungenießbare Deckfrüchte in ein verkaufsfähiges Produkt, Fleisch, zu verwandeln. Wenn sie gut betreut werden, bereiten diese Weidetiere auch unwissentlich den Boden vor, indem sie beim Laufen, Graben und Fressen den Oberflächenboden sanft verdichten und belüften.10
Ein weiterer versteckter Nutzen ergibt sich aus den Ausscheidungen der Tiere. Während sie sich langsam ihren Weg durch die Koppeln fressen, scheiden sie auch ständig genau die Bestandteile aus, die die Vegetation zum Wachsen braucht - Phosphor, Stickstoff und Kalium. Dieser natürliche und nährstoffreiche Dünger senkt nicht nur die Kosten für die Landwirte, indem der Bedarf an synthetischen Bodenverbesserungsmitteln reduziert wird, sondern verbessert auch die physikalischen und biologischen Eigenschaften des Bodens durch die Einbringung von organischem Material.11, 12
Die Grenzen der regenerativen Landwirtschaft
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die regenerative Landwirtschaft positive Auswirkungen auf die Böden und die Umwelt haben kann, was aber nicht bedeutet, dass sie das Patentrezept für die Lösung der globalen Probleme der Ernährungssicherheit ist.13 So gibt es zum Beispiel noch Fragen zur Durchführbarkeit einer Skalierung regenerativer Praktiken, um die prognostizierte Nachfrage nach Nahrungsmitteln zu decken. Unvermeidlich sind auch Fragen, wer die kurzfristigen Kosten für die Umstellung auf regenerative Verfahren trägt, und die Frage, wie die Landwirt:innen für den Wandel geschult werden sollen. Auch bestehen hinsichtlich der Frage, wie wirksam regenerative Verfahren wirklich sind, um zusätzlichen Kohlenstoff in den Böden zu binden, wissenschaftliche Unsicherheiten - wobei die Standortwahl eine entscheidende Rolle zu spielen scheint. Einige Kritiker der regenerativen Landwirtschaft bemängeln auch die mangelnde Genauigkeit der Prinzipien selbst. Da einige der Prinzipien oder Techniken nur unter bestimmten Bedingungen oder an bestimmten Standorten wirklich wirksam werden, gibt es zweifellos Grenzen für die realistische Anwendung dieser Praktiken.14 Bei aller berechtigten Kritik bieten regenerative Verfahren (zumindest teilweise) echte und interessante Alternativen für die künftige Lebensmittelproduktion. Angesichts der zunehmend unsicheren Unsicherheiten hinsichtlich des Klimas und der Anbaubedingungen gewinnen widerstandsfähigere Lebensmittelsysteme bei künftigen Entscheidungen über die Entwicklung der Landwirtschaft unbestreitbar immer mehr an Bedeutung. Inwieweit regenerative Praktiken bei dieser Entwicklung eine Rolle spielen, wird die Zeit zeigen.
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- Eisenhauer, N et al. (2017). “Root biomass and exudates link plant diversity with soil bacterial fungal biomass”. Aufgerufen am 23. April 2021
- Gould, I.J. et al. (2016). “Plant diversity and root traits benefit physical properties key to soil function in grasslands”. Aufgerufen am 23. April 2021
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