Tiefenrettich und grüner Klee retten die Erde! | Portrait
Die Zukunft

Tiefenrettich und grüner Klee retten die Erde! | Portrait

Bis Ende 2019 haben 12,9 % aller Agrarbetriebe in Deutschland eine landwirtschaftlich genutzte Fläche nach den Regeln des ökologischen Landbaus bewirtschaftet. Michael Reber ist ein konventioneller Landwirt mitten in der Umstellung, wenn auch nicht ganz freiwillig. Warum das so ist, könnt ihr hier erfahren.

Mehr Leben im Boden dank Zwischenfrüchten: 

Es fühlt sich an, als würde ich auf einem Trampolin gehen: Man sackt etwas ein und federt gleichzeitig ein bisschen. Unter meinen Füßen habe ich aber kein straff gespanntes Trampolintuch, sondern Erde.

Es ist Februar und ich stehe auf dem „neuen“ Acker von Landwirt Michael Reber aus Gailenkirchen bei Schwäbisch Hall.  „Neu“ im Sinne von: einem Ackerboden mit einer aktiven Bodenkultur, die nicht mausetot gepflügt, gehackt oder gedüngt und mit Insektiziden und Fungiziden gespritzt wurde. 

Ringsherum sehe ich den Unterschied: Links leuchten tiefschwarze Erd-Furchen, rechts ein glatt gebügelter grüner Boden, auf dem der Winterweizen sprießt. Dagegen herrscht Kraut und Rüben auf Michaels Feld; 18 verschiedene Saaten hat er letzten Juli in den Boden eingebracht: Zwischenfrüchte wie z.B.den Tiefenrettich, der mit seiner dicken Pfahlwurzel Bodenverdichtungen durchbrechen kann und somit gut auflockert.  Öllein, Sonnenblumen oder auch grünen Klee - alles Pflanzen, deren Wurzeln im Boden Nährstoffe binden, die für eine fruchtbare Bodenkultur und vor allem für Humusaufbau sorgen. 

Aber nur, wenn man es denn schafft, den Boden in den Wintermonaten einfach sich selbst zu überlassen und nicht wieder alles durch zu pflügen. 

Doch das musste er erst einmal lernen, „und dieser Lernprozess hört auch nicht mehr auf“ , schmunzelt Michael. Er stapft mit dem Spaten auf seinem Feld umher und prüft immer wieder Pflanzenwuchs und Bodenstruktur. Dabei kann ich sehen, wie sehr er sich freut, dass sein schwerer, zur Härte neigender Boden aus Keuper-Ton2 jetzt im Winter noch so locker ist. 

Rückblick:

Bis vor fünf Jahren war das noch ganz anders. Michael Reber, 49 Jahre alt, war ein klassischer Schweinezüchter. Schon Michaels Eltern hatten eine Hohenloher Schweine-Herdbuchzucht betrieben.Michael stockte auf 140 Muttersäue mit Ferkel und weiblicher Nachzucht auf. Das Geschäft lief gut, bis 2006 ein Virus die Tiere infizierte und innerhalb eines Jahres sein ganzer Bestand zu rund drei Viertel eingebrochen ist. Das war das Ende seiner Schweinezucht, einer ausschließlich auf Profit getriebenen Landwirtschaft und Michael sah ein, dass er auf der Suche nach einer Alternative völlig umdenken musste. „In dieser Zeit habe ich tatsächlich erst einmal angefangen, mich nach rechts und links umzuschauen“, erzählt er, „auch nach zukunftsfähigen Acker-Baumethoden“. 

Hohenloher Schweine-Herdbuchzucht: Das Hohenloher Landschwein ist eine Rassezucht, die v.a. in der Region um Schwäbisch Hall sehr verbreitet ist.  Das Herd- oder Zuchtbuch mit beglaubigten Abstammungsnachweisen führt der Zuchtverband. 

Schließlich entschieden er und seine Frau, eine Biogasanlage zu bauen und diese in Kooperation mit den Stadtwerken Schwäbisch Hall zu betreiben. Dafür wollte er Mais und Getreide anbauen.  Nach einem 10-tägigen Workshop über regenerative Bodenbewirtschaftung war auch für Michael klar: „Es wird Zeit, dass man dem Boden etwas zurückgibt, dass er sich regenerieren kann“, denn, so Michael, „es kann doch nicht sein, dass Landwirtschaft immer nur ein Problem ist und nicht auch Teil der Lösung sein kann.“ Beeindruckt von dem ganz anderen Denkansatz der regenerativen Ackerbewirtschaftung machte er sich ans Werk: Um die Biogasanlage zu „füttern“, hat er nach einigem Hin und Her eine gute Mischung gefunden: Seit drei Jahren baut er auf seinen Feldern 50% Getreide (Roggen, Wintergerste, Triticale) als Mischkultur mit Hülsenfrüchten3 und 50% Mais an. Die Stickstoff bindenden Hülsenfrüchte  Ackerbohne und Erbse sät er zu 10-15% im Getreide mit aus. 

Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae) sind eine der artenreichsten Pflanzenfamilien. Sie gehören zur Ordnung der Schmetterlingsblütenartigen (Fabales). Die meisten Leguminosen gehen in ihren Wurzelknöllchen eine Symbiose mit Bakterien ein, die Stickstoff fixieren. Sie machen sich dadurch unabhängig vom Nitratgehalt des Bodens und sind in extrem stickstoffarmen Böden erst lebensfähig. Gleichzeitig können sie den Boden mit Stickstoff anreichern, weshalb sie in der Landwirtschaft gerne zur Gründüngung angebaut werden. 3

Sichtbare Unterschiede mit Zwischenfrüchten:

Wenn Michael heute eine der Zwischenfrüchte aus dem Acker zieht, sieht man schnell den Effekt: Lange Wurzeln, die dick mit lockerer Erde umhüllt sind.  „Schau, hier haben wir einen ganz jungen Regenwurm“, freut sich Michael und zeigt auf einen hellgelben Wurmfrischling. So banal es klingen mag – vor ca. fünf bis sechs Jahren rührte sich in den Wintermonaten nichts auf dem Acker, weder ober- noch unterirdisch. 

Michaels Ziel ist es, die fruchtbare Humusschicht wieder aufzubauen und dadurch Co2-Zertifikate zu bekommen. Dafür hat er sich bei einem Schweizer Unternehmen4 angemeldet und 2020 schon zum zweiten Mal Bodenproben testen lassen. Mit Erfolg: In den letzten drei Jahren hat er mit der regenerativen Bewirtschaftung  0,1% Humus jährlich aufgebaut und drei Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr binden können  - das entspricht ungefähr dem CO2-Ausstoß eines PKWs mit 20.000 km pro Hektar und Jahr. Das war besonders in den letzten drei Jahren eine Herausforderung, da große Trockenperioden herrschten, die vielerorts die Bodenbiologie stark geschwächt hatten.  

Hätte Michael konventionell weiter gewirtschaftet, wäre es ihm wohl nicht anders ergangen, meint er. Heute düngt er den Boden  mit deutlich weniger chemischen Pflanzenwirkstoffen, stattdessen arbeitet er mehr Spurennährstoffe in den Boden ein, und statt mineralischer Stickstoffdüngung sät er verschiedene Zwischenfrüchte vor dem Mais. Diese Zwischenfrüchte sind es, was er nun dem Boden zurückgibt. Sie stehen immerhin neun Monate lang in einer Periode von zwei Jahren auf dem Feld. 

Das konventionelle Landwirtschaftssystem sei prinzipiell auf viel chemischen Input ausgelegt, erklärt mir Michael: „Erstmal viel Mineraldünger, dann hängt die Pflanze am Tropf, wie ein drogenabhängiger Junkie. Dann muss ich immer geben. Und sobald ein Faktor nicht stimmt, wird sie krank, dann kommen Fungizide rauf, danach Insektizide uns immer so weiter“. Ein unendlicher Kreislauf zum Nachteil der Böden. Und davon wollte Michael wegkommen. 

Während wir zurück zu seinem Hof laufen, deutet Michael auf den nass-schlammigen Weg: In den letzten Tagen und Wochen hatte es abwechselnd geregnet oder geschneit. „Bei den meisten anderen Flächen lief das Wasser nur so runter“, berichtet Michael, „oder es stand auf dem Acker“. Der Grund: So viel Niederschlag in relativ kurzer Zeit konnten die meisten konventionell bewirtschafteten Böden gar nicht aufnehmen. Sein eigener Ackerboden schafft es, und das spüre ich bei jedem Schritt.

Nächstes Projekt - Agroforst mit Streuobstbäumen:

Direkt vor Michaels Hof kommen wir an einer Streuobstwiese vorbei, wobei mir die sehr jungen Bäume auffallen. Und noch während ich ihn nach dem Wie und Warum frage, beginnt Michaels Gesicht schon zu strahlen. Der zweimal  100 Meter lange Streifen ist sein jüngstes Projekt: Agroforst auf Crowdfunding-Basis. Die Streuobstwiesen prägten schon immer das Landschaftsbild der Region, wurden mit der Zeit aber immer weniger.  „In drei Tagen hatten wir das ganze Geld für die Pflanzung zusammen, hätte ich nie gedacht“, erzählt Michael noch heute etwas ungläubig. Die Idee kam vom Forum Moderne Landwirtschaft und zusammen mit seiner Frau hat er für dieses Agroforstprojekt öffentlich geworben. Diese Erfahrung „war einfach geil“! Deswegen plant er gleich das nächste Projekt auch wieder über Crowdfunding. Auf zwei weiteren seiner eigenen Flächen will er Wildobst anbauen: Kornelkirsche, Felsenbirne und eine russische Feigenart – zum Selber-Pflücken oder später auch zum Verkaufen, „das müssen wir uns noch ein bischen genauer überlegen,“ meint er. 

Michaels neuer Alltag:

Auf seinem Hof führt mich Michael in einen der früheren Schweineställe. Dort trocknen goldgelbe Maiskolben. „Das hier ist unser erstes gemeinsames Familienprojekt“, berichtet er stolz. Bei einem Start-Up bezieht Michael ein biologisches Saatgut Mittel, mit dem er seine Maissaat im Frühjahr selber beizen kann. Das machen jetzt seine Kinder, grinst Michael fröhlich, „ganz allein, und die haben einen Heidenspaß dabei“. Das wichtigste: Er muss sie nicht wie sich selbst früher, als er noch mit hochgiftigen Materialien beizte, in schützende Ganzkörperanzüge stecken. Auch die Ernte ist jetzt ein familiäres Gemeinschaftsprojekt: Im Herbst ist die ganze Familie an einem Wochenende aufs Feld gegangen und hat die Maiskolben gepflückt. „Hier klopfen unsere Kinder und Großeltern die Körner heraus“, und Michael zeigt mir auch gleich wie: Entweder über eine kleine manuell zu bedienende Schraubmaschine, bei der die meisten Körner herausfallen, oder per Hand. Michael möchte eine speziell an seinen Boden und Standort angepasste Sorte aus dem vor vier Jahren bezogenen Saatgut entwickeln. Anstelle von Hybridsorten, die man nicht selbst vermehren kann, setzt er hier auf eine sogenannte Liniensorte, die man jedes Jahr einfach wieder selbst vermehren kann.

Ob er sich diese Aktion vor ca. 10 Jahren hätte vorstellen können, will ich wissen. „Nein“, kommt seine Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Früher war ich ja noch völlig davon überzeugt, dass die konventionelle Bewirtschaftung die einzig richtige war. Und die habe ich alleine auch durchgezogen“.

Letzte Station unseres Rundgangs ist der „Seminarraum“, ebenfalls ein ehemaliger Stall. Auch so ein Herzensprojekt, was Michael seit zwei Jahren zusammen mit seiner Frau durchführt. Was er selbst durch experimentelles Ausprobieren, sorgfältiges Beobachten, seine eigenen Recherchen und über den Workshop zur regenerativen Ackerwirtschaft gelernt hat, gibt er mit seiner Frau nun in Bodenseminaren und Feldtagen an Interessierte weiter. Auch wenn die Biogasanlage ihr Haupteinkommen ist, entwickeln sich ihre Lehrangebote zur weiteren Einnahmequelle. Ob das so gut besucht wird, will ich wissen und Michael nickt. „ Über die Hälfte unserer Seminarteilnehmer:innen sind unter 30-Jährige“, berichtet er, und denen will er unbedingt eine Perspektive geben. „In der Ausbildung lernen die nichts oder viel zu wenig über alternative Bodenbewirtschaftung, das ging mir ja genauso“.  Daher schauen besonders junge Leute auf Social Media-Kanälen, wo sie Informationen für eine zeitgemäße Landwirtschaft finden, meint Michael. Eine Landwirtschaft, die den extremen Wetterverhältnissen, wie sie der aktuelle Klimawandel mit sich bringt, angepasst ist. „Allerdings müssen sie sich auch darüber im Klaren sein, was sie wirklich wollen, als Landwirt:in und als Mensch“, betont Michael. Ein Thema, worüber Michael heute leidenschaftlich diskutiert.

Mein Fazit: Er hat sich ganz schön verändert, nicht nur seine Bewirtschaftung, auch er sich selbst. Michael lacht fröhlich dazu: „Das sagt mir meine Frau auch jede Woche – mindestens einmal!“ 

Kennt ihr auch Landwirte, die von konventionell auf Bio oder ökologisch bewirtschaftet umstellen wollen oder umgestellt haben? Wir freuen uns , wenn ihr uns eure Erfahrungen unten in dem Link mitteilt.

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