Kulturpflanzenvielfalt: Warum ist das wichtig?
Die Erde zuerst

Kulturpflanzenvielfalt: Warum ist das wichtig?

Laut der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) haben wir im 20. Jahrhundert rund 75 % unserer Kulturpflanzenvielfalt verloren. Dieser Negativtrend stellt eine Gefahr für die Ernährungssicherheit und die menschliche Gesundheit dar. In den letzten Jahren hat das Problembewusstsein jedoch zugenommen und Maßnahmen werden getroffen, um diesen Trend umzukehren.

Kulturpflanzenvielfalt: Was ist das?

Wenn wir im Supermarkt durch die Obst- und Gemüseregale schlendern, sind wir uns oft nicht bewusst, dass wir nur einen Bruchteil dessen sehen, was es dort zu sehen geben könnte.

Wissenschaftler*innen schätzen, dass es auf unserem Planeten rund 400.000 verschiedene Pflanzenarten gibt. Etwa die Hälfte davon ist essbar.1,2 Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben wir vermutlich an die 7.000 Nutzpflanzen in unseren landwirtschaftlichen Systemen angebaut. Heute liefern allerdings nur ca. 30 Pflanzen 90 % der Kalorien in unserer Ernährung und nur drei Pflanzenarten (Reis, Weizen und Mais) machen die Hälfte der menschlichen Kalorienversorgung aus.3,4

Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben wir Schätzungen zufolge 75 % unserer Kulturpflanzenvielfalt verloren.5 Der Hauptgrund für diesen dramatischen Rückgang ist unser industrielles Nahrungssystem, das auf Produktivität, Standardisierung und Uniformität statt Vielfalt ausgerichtet ist.4

Derzeit liefern eine Handvoll multinationaler Unternehmen den Großteil des kommerziellen Saatguts. Diese Unternehmen investieren nur in eine sehr begrenzte Auswahl an Sorten und bestimmen so das kommerzielle Angebot.6 Eine US-Studie ergab, dass von 544 verschiedenen Kohlsorten im Jahr 1903, 80 Jahre später nur noch 28 Sorten übrig waren. Von 307 Maissorten waren 1983 nur noch 12 Sorten übrig, und von 408 Erbsensorten blieben nur 25 Sorten bis ins Jahr 1983 erhalten. Die Liste lässt sich fortführen. 7, 8 

Einige der verloren gegangenen Sorten sind vielleicht noch in dem einen oder anderen Garten zu finden, oder lagern in einem staubigen Saatgutbehälter in irgendeinem Keller. Entscheidend ist jedoch, dass diese Sorten aus unseren Saatgutkatalogen verschwunden sind, und somit für den kommerziellen Anbau nicht mehr verfügbar sind.7

Ein Risiko für die Ernährungssicherheit

Der Verlust der Kulturpflanzenvielfalt stellt eine enorme Bedrohung für unsere Ernährungssicherheit und die menschliche Gesundheit dar.7, 9 Mit dem Bevölkerungswachstum und einer voraussichtlichen Weltbevölkerung von 9,7 Milliarden Menschen im Jahr 2050 10 bleibt die Ernährungssicherheit eine der größten Herausforderungen.

Es mag paradox erscheinen, doch die starke Priorisierung hochproduktiver Sorten, ohne die Qualitäten weniger produktiver Sorten ausreichend zu berücksichtigen, stellt eine große Gefahr für die Ernährungssicherheit dar. Unsere Abhängigkeit von einigen wenigen Pflanzenarten und -Sorten macht unser Ernährungssystem anfällig für Schocks wie Dürren, Schädlinge und Krankheiten.6,11 In solch einem homogenen Agrarsystem kann bereits der Ausfall einer einzigen wichtigen Kulturpflanze katastrophale Folgen haben. 

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die irische Kartoffel-Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Ein Großteil der irischen Bevölkerung war damals abhängig von einer bestimmten Kartoffelsorte. Als eine Kartoffelfäule den größten Teil der Ernte vernichtete, waren die Auswirkungen verheerend und forderten den Tod von etwa einer Million Menschen. In den darauffolgenden Jahren war die Not so groß, dass mindestens eine weitere Million Menschen das Land verließ.12

Heute steht unser Ernährungssystem vor großen Herausforderungen. Als Folge des Klimawandels ist damit zu rechnen, dass Ernteausfälle in den kommenden Jahren häufiger werden.6 Die Kulturpflanzenvielfalt spielt bei der Bewältigung dieser Herausforderung eine entscheidende Rolle. Verschiedenen Pflanzenarten und -Sorten unterscheiden sich mitunter stark in ihren Eigenschaften und Anforderungen. Einige Sorten sind äußerst produktiv. Andere hingegen sind widerstandsfähiger gegenüber Dürreperioden, Schädlingen und Krankheiten und kommen besser mit widrigen Bedingungen zurecht. Eine große Kulturpflanzenvielfalt erhöht daher die Widerstandsfähigkeit unseres Ernährungssystems und trägt erheblich zur Ernährungssicherheit bei.

 

Abnehmende Kulturpflanzenvielfalt und menschliche Gesundheit

 

Ernährungssicherheit bezieht sich jedoch nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der erhältlichen Lebensmittel. Schätzungen zufolge leidet jeder dritte Mensch an einem Mikronährstoffmangel. Gleichzeitig sind fast 2 Milliarden Menschen übergewichtig oder fettleibig.13

 

Um Mangelernährung und ernährungsbedingte Krankheiten zu bekämpfen, ist also nicht nur die Verfügbarkeit kalorienreicher Lebensmitteln, sondern auch eine abwechslungsreiche und nährstoffreiche Ernährung wichtig.11, 14 Bei einer reduzierten Kulturpflanzenvielfalt ist es jedoch schwierig, den energiereichen Teil der Ernährung mit nährstoffreiche Lebensmitteln zu ergänzen.6 Daher hat der Verlust der Kulturpflanzenvielfalt in Kombination mit der Globalisierung weltweit zu einer einheitlicheren und weniger gesunden Ernährungsweise geführt.6, 15

 

Den Abwärtstrend umkehren

 

Glücklicherweise hat das Bewusstsein für die Bedeutung der Kulturpflanzenvielfalt in den letzten Jahren zugenommen.4, 11 Die Einrichtung sogenannter Saatgutbanken ist ein wichtiger Schritt, um die Saatgutvielfalt zu unterstützen und für größere Vielfalt zu sorgen. Mehr als 1750 Saatgutbanken weltweit sammeln, bewahren und teilen bereits Saatgut aller Art, um die Forschung und Entwicklung neuer Sorten  voranzutreiben.16,17 Dennoch bleibt der Zugang zu (neuen) Sorten eine Herausforderung, und das volle Potenzial von Saatgutbanken für die Erforschung und Züchtung neuer Sorten muss erst noch vollständig untersucht werden.17

 

Was kann man als Konsument tun?

Wenn du selbst etwas zur Kulturpflanzenvielfalt beitragen möchtest, halte Ausschau nach seltenen Sorten. Auf Bauernmärkten gibt es oft eine größere Auswahl solcher Sorten. Dort findest du häufig auch Saatgut oder Jungpflanzen seltener Sorten für den eigenen Anbau im Garten oder auf dem Balkon. Wenn du die Samen deiner eigenen Pflanzen sammelst, kannst du sogar eigene Sorten züchten, die nach einigen Jahren perfekt an deine lokalen Bedingungen angepasst sind.

Hinweise
  1. Dasgupta (2016). “How many plant species are there in the world? Scientists now have an answer”. Mongabay – News and Inspiration from Nature’s Frontline. Accessed 02 May 2021.
  2. Warren (2016). “Why do we consume only a tiny fraction of the world's edible plants?”. World Economic Forum. Accessed 02 May 2021.
  3. FAO (1997). “The State of the World’s Plant Genetic Resources for Food and Agriculture”. FAO. Accessed 16 January 2020.
  4. Chable et al. (2020). “Embedding Cultivated Diversity in Society for Agro-Ecological Transition”. Sustainability. Accessed 02 May 2021.
  5. FAO (2010). “Crop biodiversity: use it or lose it”. FAO. Accessed 09 June 2021.
  6. Kinver (2014). “Crop diversity decline 'threatens food security'”. BBC News. Accessed 02 May 2021.
  7. Seed: The Untold Story discussion guide. Accessed 02 May 2021.
  8. “Seeds & Breeds for 21st Century Agriculture”. RAFI (Rural Advancement Foundation International) USA. Accessed 02 May 2021.
  9. National Research Council (1993). “Managing Global Genetic Resources: Agricultural Crop Issues and Policies”. The National Academies Press. Accessed 02 May 2021.
  10. United Nations (2019). “Growing at a slower pace, world population is expected to reach 9.7 billion in 2050 and could peak at nearly 11 billion around 2100”. United Nations: Department of Economic and Social Affairs. Accessed 02 May 2021.
  11. Bioversity International. “Agricultural Biodiversity”. CGIAR. Accessed 02 May 2021.
  12. Joel Mokyr. “Great Famine”. Britannica. Accessed 09 June 2021.
  13. GBD 2015 Obesity Collaborators (2017). 'Health effects of overweight and obesity in 195 countries over 25 years.'. The New England Journal of Medicine. Accessed 09 June 2021.
  14. Crop Trust. “Crop Diversity: Why it Matters”. Accessed 02 May 2021.
  15. Colin K. Khoury et al. (2014). “Increasing homogeneity in global food supplies and the implications for food security”. PNAS. Accessed 09 June 2021.
  16. Weber (2020). “Preserving Crop Diversity for Future Generations: Launch of EU Research Project AGENT”. CORDIS EU research results. Accessed 02 May 2021.
  17. Duggan. “Inside the ‘Doomsday’ Vault”. Time. Accessed 02 May 2021.

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