Wiener Welse | Portrait
Die Erde zuerst

Wiener Welse | Portrait

Am Rande Wiens werden in einer Aquaponik Anlage nachhaltiger Fisch und ökologisch wertvolles Gemüse produziert. Das Prinzip ist dabei schon lange bekannt und bewährt sich auch heute.

“Bitte nicht in die Becken greifen oder dagegen klopfen”, sagt Lukas Norman. Er steht inmitten eines Raumes mit zehn blauen Becken an den Wänden. Um die 400 Fische schlängeln sich in jedem davon hin und her und wallen das Wasser auf. 'Aktuell füttern wir zu einem kleinen Teil noch Fischmehl, wir starten aber gerade einen Fütterungsversuch mit insektenbasiertem Futter', sagt Lukas Norman. Er kommt aus der Teichwirtschaft und studiert Süßwasserökologie an der Universität für Bodenkultur. Seit zwei Jahren arbeitet und forscht er bei der Firma 'Blün', die in Wien, Donaustadt, eine Aquaponik Anlage betreibt. Um die 20 Tonnen Fisch werden hier im Jahr produziert, etwa die Hälfte wird als Filet an Gastronomie und Endkonsument:innen verkauft.

Aquaponik: Zwei Technologien im Einklang:

Das Besondere an dem Fisch aus dem 22. Wiener Gemeindebezirk: Ein Teil des Wassers, in dem er schwimmt, fließt über Leitungen weiter und bewässert in etwa 1.000 Quadratmeter weit reichenden Gewächshäusern verschiedene Sorten von Auberginen, Tomaten, Gurken und Paprika. Das Wasser wird in den Becken mit Fischfutter, mit den Ausscheidungen der Fische und dadurch mit Nährstoffen für das Gemüse angereichert. Mikroorganismen und Filtersysteme zwischen Gewächshäusern und Fischbecken sorgen für eine mehrfache Reinigung des Wassers.

Das System der Aquaponik verbindet damit zwei grundlegende Technologien der Lebensmittelproduktion  miteinander. Das 'Aqua' kommt von Aquakultur, also der gezielten und intensivierten Zucht von Fischen und Meeresfrüchten in Becken oder eingegrenzten Gewässern, 'Ponik' kommt von Hydroponik (auch Hydrokultur), also der erdlosen Kultivierung von Pflanzen, deren Wurzeln sich die benötigten Nährstoffe direkt aus dem Wasser oder einem damit gefluteten Substrat holen. 


Foto: Christopher Glanzl

Wasser effizient und sinnvoll nutzen: 

Die Notwendigkeit für nachhaltigen Fischfang und kreislaufbasierte Lebensmittelproduktion ist mit Blick auf das Artensterben und die Auswirkungen des massiv gewordenen Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft jedenfalls gegeben. Im Jahr 2019 wurden zudem mehr als 70.000 Tonnen Fisch nach Österreich importiert, nur rund sechs Prozent des konsumierten Fisches stammten aus dem Inland¹. Die Produktion von Speisefisch in Aquakultur-Anlagen stieg in Österreich im selben Jahr auf über 4.000 Tonnen an. Ist es dabei bei einzelnen Produzenten zu Produktionseinbußen gekommen, so war eine der Hauptursachen Wassermangel aufgrund hoher Temperaturen²

In konventionellen Aquakulturen werden dabei auch Medikamente wie Antibiotika eingesetzt, um die Ausbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Bei Aquaponik-Anlagen ist das nicht möglich, weder synthetische Dünger noch chemische Pestizide dürfen eingesetzt werden, auch Medikamente würden das empfindliche Gleichgewicht des Kreislaufs stören. Aquaponik bietet somit die Möglichkeit einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Lebensmittelproduktion, in der die Ressource qualitatives Wasser als das gewürdigt wird, was sie ist: begrenzt.


Foto: Christopher Glanzl 

“Unsere Welse schwimmen in Wien in steirischem Gebirgswasser. Das hochwertige Wasser ist für uns ein unglaublich hohes Gut“, sagt Gregor Hoffmann, Mitbegründer der 'Blün GmbH'. “Dass wir in Wien Hochquellwasser dieser Güte haben, ist einzigartig.“ Hoffmann hatte die Aquaponik als Agrarberater bei zwei Pionierbetrieben in Deutschland und der Schweiz kennengelernt und die Anlage in Österreich gemeinsam mit drei Gleichgesinnten gestartet. Gemüseproduzent Bernhard Zehetbauer, Stefan Bauer aus der Tomatenproduktion und der Landwirt und „Rasenexperte“ Michael Berlin gründeten zur Vorbereitung der Anlage die “ARGE Wiener Fisch” und beauftragten den damals noch als Berater tätigen Hoffmann, das Projekt zu begleiten. Er stieg als Partner ein und im Jahr 2017 startete die Produktion. “Nachhaltig, regional Fisch und Gemüse zu produzieren und das gemeinsam auf den Markt zu bringen; das war Anlass und Ergebnis unserer Unternehmung zugleich”, sagt Gregor Hoffmann. „Zum Teil spielte auch eine unabhängige Landwirtschaft eine Rolle, weil wir mit dem Fischfutter sozusagen auch gleich den Dünger einkaufen, aber das Thema Ressourcenschonung zeichnet die Aquaponik eben aus”, sagt Gregor Hoffmann.

Ein altbewährtes Prinzip etabliert sich erneut: 


Foto: Christopher Glanzl

Bereits die Hochkultur der Maya hat die Technik der Aquaponik zur Produktion von Lebensmitteln eingesetzt, doch obwohl sie auf eine Jahrtausende währende Geschichte zurückblickt, steckt das Prinzip in Österreich noch in den Kinderschuhen. Vergangenes Jahr zeigte eine Studie der Universität für Bodenkultur (Boku), dass nur zwölf Prozent der 315 befragten Konsument:innen den Begriff Aquaponik kannten, der Rest hatte noch nie davon gehört³. Die Informationen über die Produktionsweise sind für umweltbewusste Kund*innen allerdings ein ausschlaggebender Faktor, im Supermarkt auch zu einem teureren Produkt zu greifen. 'Deswegen  sollte einerseits ganz stark auf das Informationsmarketing gesetzt werden, der Begriff Aquaponik und wie das System funktioniert sollten erklärt werden, um Verständnis und Wissen bei den Konsument:innen zu schaffen', sagt Theresa Eichhorn von der Universität für Bodenkultur, die bei der im Frühjahr 2020 veröffentlichte Studie mitwirkte. 'In einem weiteren Schritt sollten die Vorteile der Aquaponik in der Produktinformation hervorgehoben werden, also den geringeren Wasserverbrauch, die effizientere Nährstoffausnützung, dass keine Pestizide und keine Antibiotika eingesetzt werden', so Theresa Eichhorn.

'Michael Pollan, ein US-amerikanischer Professor, der das Buch 'The Omnivore's Dilemma' geschrieben hat, nennt solche Methoden auch 'beyond organic' und so sehen wir uns auch selbst', sagt Gregor Hoffmann. Der Haken beim ökologisch wertvollen Fisch aus Wien ist nämlich, dass er nicht als bio (im Englischen 'organic') zertifiziert werden darf. Die EU Bio-Verordnung sieht vor, dass biologisch angebautes Gemüse in der Erde und biologischer Fisch in Teichen heranwachsen muss. 'Wir sind schon ein bisschen weiter als bio, wenngleich wir kein Bio-Siegel bekommen', meint Gregor Hoffman.

Hast du schon einmal Lebensmittel aus einer Aquaponik-Anlage gegessen? Was ist dir aufgefallen in Bezug auf Qualität und Geschmack? Schreib es uns gerne in die Kommentare! 

Bleib mit unserem Newsletter (in Englisch) über Neuigkeiten auf dem Laufenden

Folge uns