Manuelle Bestäubung von Obstgärten | Lektionen aus Sichuan, China
Die Zukunft

Manuelle Bestäubung von Obstgärten | Lektionen aus Sichuan, China

Bienen und andere Bestäuber sind für unseren Planeten von unschätzbarem Wert – sie sind wesentlicher Bestandteil der Ökosysteme an Land und unterstützen durch ihre Bestäubung die landwirtschaftlichen Systeme des Menschen. Doch was wird aus der Landwirtschaft, wenn die kleinen, wundervollen Hilfskräfte verschwinden? Hier erfährst Du, warum Landwirt:innen in der chinesischen Provinz Sichuan dazu übergegangen sind, ihre Obstgärten von Hand zu bestäuben, und was der Grund für diese ungewöhnliche Praxis ist.

Warum unsere Pflanzen Bestäuber brauchen

Im Jahr 2019 wurden Bienen zur wichtigsten Spezies der Erde erklärt.1 Ohne sie würde ein Großteil der Pflanzen unserer Welt nicht bestäubt werden, was verheerende Auswirkungen auf die globalen Ökosysteme hätte. Das macht die kleinen Bestäuber unerlässlich für unser Leben. Bienen sind sowohl lebenswichtige Bestandteile natürlicher Ökosysteme als auch für landwirtschaftliche Systeme von entscheidender Bedeutung. Durch die Bestäubung eines Großteils der weltweiten Nutzpflanzen spielen Bienen eine enorme Rolle in agrarwirtschaftlichen Systemen.

Um sich klarzumachen, welch wichtige Rolle Bestäuber für unser Leben spielen, stellt man sich zunächst einen Teller mit seinem Lieblingsessen vor. Nun wirft man in Gedanken 1/3 dieses Essens weg. Dies ist nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie radikal anders unser Leben ohne Bienen und andere Bestäuber wäre. Etwa jeder dritte Bissen Nahrung wäre ohne die Bestäubung von Tieren nicht da.2 Die FAO schätzt, dass etwa 90 % des weltweiten Nahrungsangebots aus etwa 100 Kulturpflanzen stammt, von denen 71 von Tieren bestäubt werden müssen.3 Und das gilt nicht nur für das Obst und Gemüse, welches wir konsumieren, sondern auch für eine Reihe von Kulturpflanzen, die an Nutztiere verfüttert werden, wie Klee, Soja und Luzerne. Das macht Bienen zu einem wesentlichen und wichtigen Teil der Fleisch- und Milchindustrie.4

Immer weniger Bestäuber

In den letzten Jahren haben die Nachrichten über den rapiden Rückgang von Bestäubern die Aufmerksamkeit von Mainstream-Medien, Ökolog:innen, Klimawissenschaftler:innen und Landwirt:innen auf der ganzen Welt beschäftigt.5 Ein Bericht der Vereinten Nationen warnt, dass zwei von fünf Arten von wirbellosen Bestäubern (Bienen, aber auch Schmetterlinge und andere Wildinsekten) inzwischen vom Aussterben bedroht sind.6 Auch nordamerikanische Aufzeichnungen belegen die immer kleiner werdende Bestäuberzahl. So haben US-amerikanische Imker:innen zwischen Oktober 2018 und April 2019 fast 40 % ihrer Honigbienenvölker verloren. Obwohl es üblich ist, dass ein gewisser Teil der Honigbienenvölker über den Winter ausstirbt, war dies der schlimmste Winterverlust seit Beginn der Befragung vor 13 Jahren.7

Besonders Praktiken der modernen, groß angelegten Landwirtschaft, wie zum Beispiel die Rodung von Land und der Einsatz von Agrarchemikalien, haben zum starken Rückgang der Bestäuber beigetragen. Dies wirft kein gutes Licht auf die Zukunft dieser Art von Landwirtschaft. Der Verlust von Bestäubern bedroht sowohl die Gesundheit und Vielfalt der Ökosysteme unseres Planeten, als auch die globale Ernährungssicherheit und Ernten in Milliardenhöhe jedes Jahr. Abgesehen davon arbeiten Millionen Menschen weltweit in der Agrarindustrie, deren Arbeitsplätze durch das potenzielle Ausbleiben von Ernten ebenso gefährdet sind wie die Sicherung ihrer Ernährung.8

Von Hand bestäubt – Obstgärten in der Provinz Sichuan

In einigen Teilen der Welt wirkt sich der Rückgang der Bestäuberzahlen bereits spürbar auf die Landwirtschaft aus. Das dramatischste Beispiel kommt aus China, dem weltweit führenden Erzeuger von Birnen und Äpfeln.9,10  
In der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas ist die Zahl der Bestäuber so stark gesunken, dass den Obstbäuer:innen der Apfel- und Birnenplantagen keine andere Wahl bleibt, als ihre Plantagen selbst von Hand zu bestäuben.

A Chinese farmer pollinates a pear tree by hand on March 25, 2016 in Hanyuan County, Sichuan province, China. Kevin Frayer/Getty Images

Ein chinesischer Bauer bestäubt am 25. März 2016 im Bezirk Hanyuan in der Provinz Sichuan, China, einen Birnbaum von Hand.

Kevin Frayer/Getty Images

Handbestäubung ist ein mühsamer Prozess, bei dem jede Blüte eines jeden Baumes einzeln mit einem sogenannten "Bestäubungsstab" bestäubt werden muss. Dieser Bestäubungsstab besteht aus einem dünnen Bambusstab, an dessen Spitze sich ein Pinsel aus Hühnerfedern oder ein Zigarettenfilter befindet. Dieser Pinsel wird in ein Glas mit Pollen getaucht und dann an die Narben der Baumblüten gerieben. Die Bestäubung von Nutzpflanzen per Hand ist in keiner Weise effizient. Während die professionellen tierischen Bestäuber genau in die Mitte jeder Blüte gelangen, um dort Pollen abzulegen, müssen die Landwirt:innen diesen Schritt bis zu fünfmal wiederholen, um eine erfolgreiche Bestäubung zu ermöglichen.11

Wie kamen die Landwirt:innen zur Handbestäubung?

Die Obstbäuer:innen Sichuans mussten nicht schon immer auf die mühsame Handbestäubung zurückgreifen. Aufzeichnungen zeigen, dass diese Alternative zur natürlichen Bestäubung erst in den 1980er-Jahren aufkam.11 Davor wurden die meisten Feldfrüchte durch Insekten bestäubt. Die Gebirgsketten im Südwesten Chinas waren einst von einer Menge Wildtieren bevölkert und waren Heimat für eine große Anzahl verschiedenster Bestäuberarten.12

Aber was ist passiert? Und wie konnte es zum Rückgang dieser für unserer Überleben auf der Erde unentbehrlichen Artenvielfalt kommen? Dafür gibt es mehrere Ursachen. Doch der Verlust der natürlichen Bestäuberarten und die daraus resultierende Abhängigkeit von der Bestäubung per Hand lässt sich hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen:


1. Zerstörung von Lebensraum

Da die Anbauflächen für Birnen und Äpfel von Jahr zu Jahr wachsen, sind die natürlichen Flächen, sprich die Lebensräume der Bestäuber, erheblich geschrumpft. Bienen, Hummeln und andere Bestäuber brauchen naturbelassene Rückzugsorte, in denen sie nisten, brüten und nach Nahrung suchen können, wenn saisonale Kulturen wie Birnen und Äpfel nicht blühen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Wildbienen in der Regel nur kurze Strecken vom Nest aus zurücklegen können, manche fliegen nicht weiter als 100 Meter.13 Um sich auf der Suche nach Nektar und Pollen zu ernähren, sind Bienen auf blütenreiche Flächen in unmittelbarer Nähe angewiesen, wo sie sich ausruhen und auftanken können, bevor sie nach Hause fliegen. Der Mensch vergrößert seine Anbauflächen jedoch permanent. Dadurch wird das Nahrungsangebot für Wildbienen und andere Bestäuber in Flugweite stark eingeschränkt. Die drastische Folge: ein starker Rückgang der Insekten, die der Mensch eigentlich dringend für den Anbau von Nahrung bräuchte.14,15

2. Intensiver Einsatz von Pestiziden

Die zweite und möglicherweise tiefgreifendste Konsequenz bringt das übermäßige Versprühen von Pestiziden mit sich. Um die Ernteerträge vor Schädlingen wie der Birnbaumlaus zu schützen, gehört der intensive Einsatz von Pestiziden in der Region Sichuan zur gängigen Praxis. Einer Studie zufolge werden Birnenplantagen in der Provinz Sichuan vor der Ernte oft 12-mal besprüht.11 Allerdings ist das Vertrauen auf Pestizide nicht nur ein Problem im Südwesten des Landes - auf nationaler Ebene verbraucht China 1.763.000 Tonnen Pestizide pro Jahr und ist damit der weltweit größte Verbraucher. Die Menge an Petiziden, die China in der Agrarwirtschaft anwendet, überschreitet im Vergleich auch die vieler Industrieländer bei weitem.16,17 Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ist ein zweischneidiges Schwert: Er tötet zwar Schädlinge, aber eben auch sogenannte Nützlinge - Insekten, die wichtige Bestandteile landwirtschaftlicher Systeme sind.

Der starke Einsatz von Pestiziden hält regionale Imker:innen davon ab, ihre Bienenstöcke an Landwirte zu vermieten. Dadurch werden die Obstgärten nicht ausreichend bestäubt, was wiederum zu geringen Obsterträgen führte. Um den notleidenden Landwirt:innen zu helfen, führte die lokale Regierung Mitte der 1980er-Jahre die Handbestäubung ein. Seitdem haben die meisten Landwirt:innen ihre Arbeitsweise in der Region auf diese Methode umgestellt, um ihren Lebensunterhalt sichern zu können.11

Eine langfristige Alternative oder nur eine kurzfristige Lösung?

Auch wenn die Bestäubung der Obstbäume per Hand das Problem der geringen Obsterträge kurzfristig gelöst zu haben scheint, ist sie doch eher eine Notlösung als ein langfristiges Heilmittel. Da die wirtschaftliche Entwicklung in der gesamten Region voranschreitet, wird die manuelle Bestäubung immer teurer, was die langfristige Wirtschaftlichkeit dieser Praxis infrage stellt.11 Wenn die betroffenen Landwirt:innen ihre Gewinne langfristig und nachhaltig sichern wollen, um die immer steigende Nachfrage in Zukunft zu befriedigen, müssen die hilfreichen Bestäuber wieder ins Spiel bzw. auf die Plantagen gebracht werden.

Erhalt unserer Bestäuber

Wenn es um die Gesundheit und Vielfalt eines Ökosystems geht, sind Bienen das, was Kanarienvögel für Kohleminen sind – eine tierische Alarmanlage: Ein Rückgang der Bienenbestände ist ein deutliches Warnsignal dafür, dass etwas in einem Ökosystem aus dem Lot geraten ist. Viele moderne landwirtschaftliche Betriebe sind zu bienenfeindlichen Orten geworden. Aber das muss nicht so sein. Wenn wir auch in Zukunft das gleiche Obst und Gemüse wie heute genießen wollen, brauchen wir nachhaltigere Methoden in der Landwirtschaft und müssen auch unseren Lebensstil umweltfreundlicher gestalten, um Natur und Bestäuber langfristig zu schützen.

Glücklicherweise zeigen Studien, dass nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken wie das Anlegen von Wildblumenstreifen und das Belassen von Naturflächen zwischen den landwirtschaftlichen Flächen wesentlich zum Wiederanstieg der Bestäuberzahlen beitragen können. Zusätzlich werden durch den Erhalt ungestörter Naturflächen die dortigen Vogelpopulationen unterstützt, die wiederum wichtiger Teil der Schädlingsbekämpfung sind. Auch dadurch kann der Einsatz von chemischen Pestiziden eingedämmt werden.18 Einige Expert:innen raten Landwirt:innen, ein Viertel ihrer Anbauflächen mit blühenden Nutzpflanzen wie Gewürzen, Ölsaaten, Heil- und Futterpflanzen zu bewirtschaften, um so Bienen und andere Bestäuber zu unterstützen und ihre wirtschaftlichen Gewinne nachhaltig zu erzielen.19

Landwirt:innen spielen in diesem Kampf zum Erhalt der Bestäuber eine wichtige Rolle und sollten großes Interesse daran haben, den alarmierenden Rückgang wieder umzukehren. Denn wenn wir auch in Zukunft eine vielfältige und erschwingliche Auswahl an Lebensmitteln haben wollen, muss die moderne Landwirtschaft ihren Fokus vermehrt auf den Schutz von Bestäubern und auf die wichtigen Dienste, die sie leisten, richten.

Hinweise
  1. FAO (2008), „Tools for Conservation and Use of Pollination Services: Initial Survey Of Good Pollination Practices“, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  2. Sustainweb.org, „Why bees are important“, aufgerufen am 18.Dezember 2020.
  3. Simon G. Potts,Jacobus C. Biesmeijer, Claire Kremen, Peter Neumann, Oliver Schweiger, William E. Kunin, 2010 „Global pollinator declines: trends, impacts and drivers“, Science Direct, aufgerufen am 18.Dezember 2020
  4. Seth Borenstein, (2016), „UN science report warns of fewer bees, other pollinators“, phys.org, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  5. Seth Borenstein, (2019), „Survey sees biggest US honeybee winter die-off yet“, phys.org, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  6. FAO (2019), „Declining bee populations pose threat to global food security and nutrition“, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  7. "Apples production quantity" knoema.com, aufgerufen am 22. April 2021
  8. „Global leading pear producing countries in 2019/2020“, M. Shahbandeh, statista.com aufgerufen am 22. April 2021.
  9. TangYa, Xie Jia-sui, Chen Keming (2006), „Hand pollination of pears and its implications for biodiversity conservation and environmental protection -- A case study from Hanyuan County, Sichuan Province, China“, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  10. Zongxin Ren, Yanhui Zhao, Huan Liang, Zhibin Tao, Hui Tang, Haiping Zhang, Hong Wang (2018), „Pollination ecology in China from 1977 to 2017“, Science Direct, aufgerufen am 18.Dezember 2020.
  11. Hofmann, Fleischmann, Renner, (2020), „Foraging distances in six species of solitary bees with body lengths of 6 to 15 mm, inferred from individual tagging, suggest 150 m-rule-of-thumb for flower strip distances“, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  12. Jonathan L. Teichroew, Jianchu Xu, Antje Ahrends, Zachary Y. Huang, Ken Tan, Zhenghua Xie (2017), „Is China's unparalleled and understudied bee diversity at risk?“, sciencedirect.com, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  13. G. Yuan, Ma Weihua, Wu Wenqing, Song Huailei (2016), „Fruit Tree Pollination Technology and Industrialization in China“, semanticscholar.org, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  14. Worldometers.info, „Pesticide Use in China“, aufgerufen am 22. April 2021.
  15. Stevenson (2016), „Save China’s Wild Bees to Safeguard Global Food Supply: New Study Calls for More Trees and Fewer Chemicals on China’s Farms“, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  16. Dave Goulson (2012), „Decline of bees forces China’s apple farmers to pollinate by hand“, chinadialogue.net, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
  17. Jonathan Watts (2018), „Scientist unveils blueprint to save bees and enrich farmers“, guardian.com, aufgerufen am 18. Dezember 2020.
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