Feigen und Wespen | Wie Pflanzen und Bestäuber zusammenarbeiten

Feigen und Wespen | Wie Pflanzen und Bestäuber zusammenarbeiten

Wenn du so bist wie ich hast du dir wahrscheinlich nie Gedanken über Feigen gemacht - abgesehen davon wie lecker sie schmecken vielleicht. Ein Einblick in das Leben der Feigen zeigt aber ein ganz anderes Bild: nämlich eine bemerkenswerte und komplexe Partnerschaft zwischen Pflanze und Bestäuber. Was genau sind also Feigen, was ist eine Feigenwespe und warum sind sie so besonders?

Feigen sind Blumen, kein Obst:

Unsere lokalen Supermärkte sind ein kategorisches Minenfeld. Zugegeben, die meisten von uns wissen mittlerweile, dass Tomaten und Avocados technisch gesehen zum Obst und nicht zum Gemüse gehören, während Auberginen interessanter weise eine Art Beere sind - das Gleiche gilt übrigens für Bananen. Aber während dieser botanische Verrat in manchen Fällen aufgedeckt wurde, haben es andere geschafft unbemerkt an uns vorbeizuschleichen: Die Feige hat sich genau vor unseren Nasen als Obst ausgegeben.

Es stimmt - etwas, dass die meisten von uns selbstgefällig in die ‘Obstabteilung’ gelegt hätten ist in Wirklichkeit gar kein Obst, sondern eine Infloreszenz, ein Kern aus hunderten winziger, feinen Blüten, die sich in einem knollenartigen Stiel befinden. Schneide eine Feige auf und du siehst ein psychedelisches Labyrinth, dass aus einzelnen Blüten besteht sowie knusprige Teile, die Samen der Blüten.1

Feigen bestäuben:

Da Feigen technisch gesehen die Blüten einer Feigenpflanze und keine Frucht sind, müssen diese Blüten bestäubt werden, damit sich die Pflanze fortpflanzen kann. Wie du dir nun sicher vorstellen kannst ist fast schon unmöglich die internen Blüten zu bestäuben. Es gibt nur ein kleiner aber wichtiger Besucher, der diese Aufgabe erfolgreich gemeistert hat: die Feigenwespe.

Mit der Größe einer Mücke, gibt dieses kleine wirbellose Tier sein Leben, um die Feige zu bestäuben. Im Gegenzug bietet die Feige eine sichere Kinderstube in der die Jungen schlüpfen und wachsen können.2

Feigenpflanzen brauchen Feigenwespen:

Die Feigenpflanzen haben bemerkenswerte Beziehungen mit Feigenwespen. Diese Beziehung ist so komplex, dass es für uns schwierig ist zu verstehen, wer damit angefangen hat und wer den besseren Deal abbekommt. Fast jede der 850+ Arten von Feigenpflanzen hat seine eigene Art von Feigenwespe, die sich der einmaligen Partner Feige angepasst hat (obwohl sich manche Arten der Wespen zu Universalisten weiterentwickelt haben, was es ihnen erlaubt mehrere Feigenpflanzen zu bestäuben).3

Diese unglaublich synchronisierten Beziehungen fanden nicht von jetzt auf gleich statt. Die Verbindung zwischen Feigen und Wespen ist prähistorisch und wird auf bis zu 90 Millionen Jahre zurückdatiert (35 Millionen vor der Auslöschung der Dinosaurier).4

Es wird vermutet, dass sich die Blüten der Feigenpflanzen nach innen gedreht haben und die Blüten Höhlen bildeten die wir heute kennen, und das kurz vor der zufälligen Begegnung zwischen Pflanze und Wespe. Diese richtungsweisende Veränderung hat die gesamte Geschichte beider Organismen grundlegend verändert. Für die Feigenpflanze bedeutete diese evolutionäre Anpassung die höchste Form der Monogamie zu begehen. Von nun an würde kein anderes Wesen - von Bienen zu Vögeln, über Fledermäuse bis hin zum Wind - dabei helfen die Pflanze zu bestäuben. Durch die komplette Abschottung zur Außenwelt lösten diese Blüten eine der dauerhaftesten und am meisten mutualistischen Partnerschaften der Natur aus.5

Der Bestäubungszyklus der Feigen:

Wenn eine Feige zur Bestäubung bereit ist, stößt sie einen bestimmten Geruch aus, der nur die Partner Wespe anlockt. Sobald eine weibliche Wespe die Feige erreicht, tunnelt sie sich durch ein Nadelöhr großes Loch am Fuß der Feige. Tragischer Weise gibt eine Wespe unwissentlich jedes mal das ultimative Opfer. Während sie sich durch das kleine Loch windet, werden ihre Flügel und Antennen abgetrennt, was sie flugunfähig macht. Sie verbringt den Rest ihrer zweitägigen Lebensspanne in der Feige, ohne jemals wieder entkommen zu können.

In der Kammer der Feige beginnt die Mutter Wespe damit ihre Eier in jede noch so winzige Blüte zu legen, bevor sie stirbt. Die Feigenpflanze erkennt durch einen chemischen Prozess jedes Ei sobald es in den Blüten abgelagert wird und reagiert darauf indem sie die Eier mit Pflanzengewebe umgibt. Dieses versorgt die Larven mit Nahrung sobald sie schlüpfen.6

Während der nächsten Wochen entwickeln sich die Eier und die männlichen Jungen schlüpfen. Diese Männchen ähneln den Wespen mit ihren flügellosen und wurm-ähnlichen Körpern in keinster Weise, und haben auch nur eine Mission: die weiblichen Larven zu befruchten, bevor sie anfangen zu schlüpfen. Nachdem sie die Weibchen befruchtet haben nutzen sie ihre Kiefer, um durch das Fruchtfleisch der Feige zu beißen und schaffen so einen Ausweg für ihre weiblichen Geschwister. Nach Ende ihres Lebenswerks kriechen die Männchen wieder zurück in die Kammer der Feige um dort zu sterben.

Kurz darauf werden die weiblichen Wespen als schwangere Königinnen geboren und tragen somit die nächste Generation der Wespen mit sich. Während die Weibchen ihren Weg durch die von den Männchen geschaffenen Tunnel machen, bleiben die Pollen der Feige an den Körpern der Wespen hängen. Wenn die mit Pollen beladenen Weibchen nun also zum ersten Mal auftauchen gehen sie sofort auf die Suche nach der richtigen Feigenpflanze, um dort ihre Eier abzulegen.7 Die Distanz, die die Feigenwespen zurücklegen können steht in keinem Verhältnis zu ihrer winzigen Größe, da sie weiter als jede andere bekannte Art von Bestäuber fliegen und Distanzen von bis zu 10 km in weniger als ihrer 48 Stunden langen Lebensspanne zurücklegen können.8 Am Ende dieser epischen Saga, krabbelt eine weibliche Wespe in die innere Kammer einer weiteren Feige und bringt somit die an ihr haftenden Pollen der Feige in der sie geboren wurde mit sich, und bestäubt somit ihre neue Bleibe. Und der Prozess beginnt von vorne.

Feigen und Wespen entwickeln sich zusammen:

Symbiotische Beziehungen können überall in der Natur gefunden werden. Die Beziehungen zwischen den meisten Blütenpflanzen und Bestäubern ist symbiotisch - Blütenpflanzen liefern das Futter für die Bestäuber in Form von Nektar oder Pollen und im Gegenzug erleichtern die Bestäuber die Verbreitung von Pollen, damit sich die Pflanze vermehren kann. Glücklicherweise läuft dieser Austausch in den meisten Fällen ziemlich geschmeidig ab, da es  eine so große Vielzahl an Blütenpflanzen und Bestäubern gibt. Wenn es eine bestimmte Art von Bestäuber nicht mehr gäbe, würde die Blütenpflanze trotzdem von einer anderen anwesenden Art bestäubt werden und umgekehrt.

Die Beziehung zwischen Feigenwespe und der Bestäubung der Feigenpflanze unterscheidet sich hier von den anderen. Feigen und ihre Wespen sind mehr als symbiotische Wohltäter, sie sind Partner. Nigel Tucker, einer der führenden Tropenökologen Australiens sagte mir, “Feigen und Feigenwespen haben eine absolut verbindliche Beziehung.” Durch ihre ausschließliche Hingabe zueinander und das über Millionen von Jahren, haben sich diese zwei Arten in einer nahezu perfekten Symmetrie entwickelt und somit ihrer beiden physischen als auch Verhaltensmerkmale geformt - ein Prozess, der von Biologen ‘Koevolution’ genannt wird. Das Resultat ist eine Verbindung, die so tiefgründig ist, dass keiner der Organismen ohne den anderen existieren könnte. Nimm einen von ihnen weg, und der andere stürzt ab.

Sind Feigen also vegan oder essen wir Wespen?

Jetzt fragst du dich sicherlich, esse ich jedes Mal eine Wespe, wenn ich eine Feige esse? Und die Antwort darauf lautet - vielleicht. Von den verschiedenen 850+ Feigenpflanzen brauchen die meisten wild wachsenden Arten die Bestäubung über die Wespe. Wenn du also eine dieser Arten essen solltest, stehen die Chancen gut, dass du ein bisschen extra Protein mit der Feige bekommst (was der Grund dafür ist, dass sich manche Veganer dazu entscheiden Feigen komplett zu meiden). Kommerzielle Sorten, die du in deinem lokalen Supermarkt findest werden allerdings normalerweise ohne Bestäubung angebaut und aus Ablegern gezüchtet und produzieren somit Früchte ohne Samen.9 Manche Feigen wurden sogar so gezüchtet, dass sie zu der so genannten Parthenokarpie gehören, was bedeutet, dass sie Früchte sind, die sich asexualisch reproduzieren und daher keine Pollenübertragung brauchen. Ein Beispiel hierfür ist die gewöhnliche kalifornische Feige, Ficus Carica, die 90% des amerikanischen Feigen Konsums ausmacht.5

Kurz gesagt - es ist sehr unwahrscheinlich, dass du kleine Bestäuber in deinen Supermarkt-Feigen findest. Aber selbst wenn du eine wilde Feige essen solltest, das fleischfressende Enzym, dass von den Feigen produziert wird wenn sie reifen und ‘Ficain’ genannt wird, verdaut die verinnerlichten Wespen effektiv als Nahrung und hinterlässt somit keinerlei Spuren von Wespen mehr.10

Wirst du deine Feigen in Zukunft auf Wespen untersuchen? Lass es uns in den Kommentaren wissen!

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