Die jungen Wilden – bio vs. konventionelle Legehennen
Die Zukunft

Die jungen Wilden – bio vs. konventionelle Legehennen

Der Verbrauch von Hühnereiern in unserer zivilisierten Welt ist immens. Insgesamt 19,9 Milliarden Eier wurden im Jahr 2020 in Deutschland verarbeitet und gegessen. Am Ende steht das Produkt Ei in den Ladenregalen. Wie geht es den Hühnern, die täglich dafür sorgen, dass wir unser Lieblingserzeugnis auf dem Teller haben? Auf der Eierpackung steht oftmals nur Boden- oder Freilandhaltung. Manchmal auch der Zusatz Bio. Doch wie leben die fleißigen Eier-Produzentinnen und sind Bio-Hennen die glücklicheren Tiere?

Es ist ein geschäftiger Tag auf Martin Föll‘s Eierhof. Im 5-Minuten-Takt fahren Transporter vor und laden Paletten mit Eierpackungen ein. Der konventionelle Legehennen-Betrieb hält derzeit zwei Herden mit insgesamt 25.000 Hühnern in Boden- und zwei Herden mit insgesamt 1.100 Hühnern in Freilandhaltung. Am Tag kommen somit  tausende Eier zusammen. Martin Föll, Landwirt in dritter Generation und Inhaber des Familienbetriebs, erklärt: „Im Schnitt legen bei uns 86% der Hennen ein Ei pro Tag.“ Diese in Prozent gemessene Quote nennt man Legeleistung. Alle gelegten Eier werden jeden Tag gezählt, an der Verpack-Station verpackt und an den Einzelhandel in der Region geliefert.

Der Hof ist groß. Mit dem Auto fahren wir zu den Legehennen-Ställen. Hygiene hat bei Martin Föll hohe Priorität. Dies wird im Laufe des Gesprächs immer wieder deutlich. Mit weißem Schutzoverall und Schuhüberziehern geht es in die Stallungen.Im Freiland-Außengehege angelangt, begrüßen einen die Hühnern neugierig. Das kontinuierliche Gackern begleitet mein Gespräch mit Herrn Föll. Wir stehen vor dem sogenannten Wintergarten, einen Übergang von Innenstall und Außenbereich. Für Hennen in Bodenhaltung endet hier der Raum. Fölls Freiland-Hühner haben pro Herde eine Außenfläche mit knapp 45.000 m2. Das sind etwa vier m2 pro Tier. Das Gras muss regelmäßig gemäht werden werden. „Ist es zu hoch, trauen sich die Hühner nicht auf die Wiese,” erklärt der Landwirt. Trotz des guten Wetters und dem gestutzten Gras sind nur wenige Hühner auf der freien Fläche. Die meisten tummeln sich im Wintergarten oder davor. „Die haben eben ihren eigenen Kopf“, sagt Föll. „Man kann die Tiere ja nicht dazu zwingen nach draußen zu gehen.” 


Martin Föll's Legehennenbetrieb. Foto: Sarah Graupner

„Die jungen Wilden“: Revolution in der Legehennenhaltung: 

Einige Tage später: Knapp 30 km von Martin Föll’s Betrieb entfernt liegt der Bromberghof. Der mit dem Naturland-Siegel zertifizierte Bio-Betrieb, unter der Leitung von Matthias Kurz, wurde im Jahr 2006 erbaut. Kurz, welcher auf dem elterlichen Hof ebenfalls eine konventionelle Eierproduktion aus Boden- und Freilandhaltung betreibt, wollte mit dem Bromberghof „die Menschen mehr und mehr an Bio heranführen.“ Bereits in den 90er Jahren schließt sich Matthias Kurz mit den jüngeren Generationen im Geflügel-Verband zusammen  und möchte als „Die jungen Wilden“ die Haltungsbedingungen maßgeblich verändern. Kurz vergegenwärtigt seine damaligen Gedanken: „Das, was unsere Eltern da verfochten haben –  inklusive der Käfighaltung –  konnte so nicht weitergehen.“ Gemeinsam mit weiteren Eierhöfen aus der Region gründet er die Werbegemeinschaft-08-Eier aus Baden-Württemberg. Der Verbund setzt sich auch heute noch für mehr Tierwohl in der Haltung, die Qualität der Produkte und die regionale Vermarktung zur Förderung der heimischen (Land-)Wirtschaft ein. Die Ziffer 08 auf dem Ei markiert die Herkunft aus Baden-Württemberg. 


Bromberghof. Foto: Sarah Graupner

Hühner in Bio-Haltung müssen ein Freiland-Gelände zur Verfügung haben. Auf die Auslauf-Gestaltung legt Matthias Kurz besonderen Wert und schafft es, diese durch innovative Ideen zu optimieren: „Wenn man möchte, dass die Hühner rausgehen, dann muss man den Auslauf so gestalten, dass er ‚Huhn-gerecht‘ ist.“ Dabei greift er auf fachbezogenes Wissen über das Huhn zurück: „Das Huhn stammt ursprünglich vom Bankivahuhn ab, einem Dschungelbewohner.“ Diese Tierart bevorzuge diffuses Licht und halte sich am liebsten an einem Waldrand auf. Der informierte Landwirt erläutert: „Bei hellem Sonnenlicht kann das Huhn die Greifvögel am Himmel nicht mehr sehen und meidet deswegen die freie Wiese. Matthias Kurz zeigt in den Freilauf: „Deswegen lieben die auch die Pappeln, unter denen sie sich verstecken können.“ Auf dem Außengelände stehen diese in Reihen gepflanzt. Pappeln erweisen sich laut Kurz als wahres Mehrzweck-Werkzeug. Sie bieten den Hühnern nicht nur Schutz, sondern binden auch CO2 und dienen alle 7-9 Jahre abgeholzt als Heizmaterial für die eigene Heizanlage. 

Der Wintergarten: Ein Stück Natur für jedes Huhn

Zurück auf dem konventionellen Eierhof, stehen Martin Föll und ich im Innenbereich der Hühner. „Der Innenstall in Boden- und Freilandhaltung ist fast identisch,” führt der Landwirt weiter fort. Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen etwa 9 Hühner pro m2 gehalten werden. Der Wintergarten, der Tageslicht und Außenklima liefert, muss dabei mindestens ein Drittel der Innenstall-Fläche messen. Die Wintergärten von Föll’s Hühnern messen fast zwei Drittel. „Es gibt Dinge, die, auch wenn sie nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, einen Mehrwert für das Huhn und den Hühnerbetrieb bringen,” hat der Landwirt die Erfahrung gemacht. „Da muss jeder Landwirt für sich herausfinden, ob es einem das wert ist oder nicht.“ So etwa haben die Hühner im Wintergarten und Innenstall Picksteine als Beschäftigungsmaterial. Diese sollen verhindern, dass sich Hühner gegenseitig die Federn auspicken. Das Picken liege laut Föll in der Natur des Huhns: „Es ist ja nicht so, dass die sich wehtun möchten. Das ist einfach die Neugier.“ Zusätzlich zu den Picksteinen im Stall, stellt Föll seinen Tieren noch kurz geschnittene und zu Ballen gepresste Luzerne, die er mit einer löchrigen Plane umhüllt hat,  zur Verfügung. Eine Pflanzensorte, die nicht nur der Beschäftigung dient, sondern zugleich noch gut für eine strahlend gelbe Eidotter-Farbe ist. 

Wie Martin Föll hat auch Bio-Landwirt Matthias Kurz seinen Wintergarten größer gebaut, als es eigentlich vorgeschrieben ist (Bio- und konventionelle Zucht hat für Wintergärten tatsächlich die selbe Größenvorschriften). Das natürliche Außenklima tue den Hühnern gut:  „Sie werden so vitaler und widerstandsfähiger gegen Krankheiten.“ Zur Beschäftigung der Tiere gibt es Heu-Netze, Picksteine und Strohballen. Dabei ist die Abwechslung ganz wichtig. „Wir machen die Erfahrung, dass, wenn man die Beschäftigungsmaterialien regelmäßig wechselt, die Neugier auf das Material stets bestehen bleibt,“ informiert Kurz. 

Innovationsschmiede Hühnerhof

So sehr sich die Wintergärten der beiden Landwirte auch ähneln, so unterschiedlich ist doch die Freiland-Gestaltung. Neben kleinen Holz-Unterständen ist die Wiese auf Fölls konventionellem Hof nahezu leer. Eine Bepflanzung mit Bäumen sieht der Eierhof-Besitzer  kritisch; zu groß ist die Sorge, dass sich in den Baumkronen Wildvögel einnisten und Keime wie die Vogelgrippe oder Salmonellen in die Herde schleppen. Einmal sei es schon vorgekommen, dass Salmonellen in einer seiner Hühnergruppen nachgewiesen wurden: „Das war schlimm – auch, wenn nur einige Tiere infiziert waren, musste die ganze Herde notgeschlachtet werden.“ Die Angst vor einem erneuten Ausbruch ist für Martin Föll gegenwärtig, die Prävention von einem übermäßigen Wildvogel-Zuzug daher umso wichtiger. Da sind sich beide Landwirte auch einig. Damit keine ungebetenen Gäste angelockt werden, darf im Freilauf kein Wasser und Futter stehen. Wenn es Stellen gibt, an denen sich Pfützen bilden, müssen diese schnell behoben werden. 


Martin Föll's Legehennenbetrieb. Foto: Sarah Graupner

Bio-Landwirt Kurz beharrt genau deswegen auf die Sinnhaftigkeit einer Bepflanzung im Außenbereich und reagiert auf  Fölls Aussage: „Auf einer Wiese, die keine Bepflanzung hat, bilden sich über die Jahre viel mehr Lachen und Matschpfützen – und das zieht Wildvögel viel mehr an als jede Bepflanzung.“ Auch der Innenstall muss hygienische Anforderungen erfüllen: „Hier ist besonders wichtig, dass die Einstreu locker und trocken ist.” Feuchte Stellen bergen ein größeres Potenzial für das Einnisten von Bakterien und Parasiten. Biobauer Kurz hat zugunsten der Stallhygiene als einer der ersten Landwirte im Bundesland die sogenannte „Sauberlauf-Zone“ eingeführt:  Nachdem die Hühner auf der Wiese im Freilauf waren, müssen sie – bevor es in den Wintergarten geht – über in den Weg gelegte Pflastersteine laufen. Bei schlechtem Wetter sickert das Regenwasser durch und eventueller Matsch und Dreck an den Hühner-Klauen fällt beim Hinübergehen ab. Der nasse Dreck gelangt somit nicht so leicht in die Innenanlage und das Stroh klebt nicht zusammen. 

Außerdem nutzt der erfinderische Bio-Hühnerhalter in seinen Ställen einen ausgeklügelten Trick, um das eingestreute Stroh aufzulockern: Im Wintergarten verläuft entlang der Decke ein dünnes, mit Löchern versehenes, Rohr. Dadurch fallen automatisch jede Stunde Weizenkörner in den Wintergarten und die Hühner beginnen zu picken und zu scharren. Das Stroh-Einstreu bleibt so stets locker und die Körnergabe erfüllt gleichzeitig auch noch die Naturland-Forderung, dass Hennen in biologischer Haltung ganze Körner zur Verfügung gestellt werden müssen. 


Bromberghof. Foto: Sarah Graupner

Bio = Bio?

Der Bioverband Naturland fordert außerdem von den jeweiligen Landwirtschaftsbetrieben Futter aus eigener Herstellung. Dabei ist Kurz die Qualität sehr wichtig: „Es ist schon eine Hochleistung für eine Henne, fast jeden Tag ein Ei zu produzieren. Da muss das Futter einfach passen!“ Ein gutes Futter zum einen, aber letztendlich auch der Geschmack des Eies und die Dotterfarbe haben für den Bio-Landwirt hohe Priorität. Das für seine Hennen optimale Futter setzt sich daher aus natürlichen Pflanzen, welche Gelbstoffe produzieren, zusammen. Dies sind etwa Mais, pelletiertes Gras sowie die Tagetes Blüte. Auf Soja im Futter möchte Kurz nicht verzichten, da dieses mit seinen Aminosäuren sehr gut für den Organismus des Huhns ist. Um das Soja jedoch ökologisch vertretbar beziehen zu können, begannen Kurz und einige Kolleg*innen vor zehn Jahren in den wärmeren Gefilden von Baden-Württemberg Soja selbst anzubauen. Ferner besteht das Futter aus Getreide, Weizen, Gerste, Hafer sowie Futterkalk und Mineralstoffe für eine stabile und glatte Eischale. 

Erst wenn ein Eierhofbetreiber eine sogenannte Kreislaufwirtschaft nachweisen kann, hat der Betrieb die Chance auf ein deutsches Bio-Siegel; im Falle Kurz ist das das Siegel des Verbands Naturland. So dürfe Kurz zum Beispiel seinen Hühnermist nicht als Düngemittel verkaufen, sondern muss diesen auf den eigenen Feldern für den Futtergetreideanbau wieder einsetzen. Das Getreide, das daraus wiederum wächst, werde dann erneut als Futtermittel für die eigenen Hühner genutzt.  

Bio + regional = optimal 

Das EU-Bio-Siegel im Gegensatz schreibe eine eigene Futtermittelerzeugung nicht vor. Man müsse lediglich Futter aus biologischem Anbau kaufen. Ob das im Ausland geschehe, sei dann irrelevant, so Kurz. „Bio bedeutet eben nicht gleich Bio,” stellt der Landwirt klar. Er habe einmal selbst den Weg eines Bio-Eis von einem deutschen Discounter nachverfolgt. Man könne durch den Code auf dem Ei sehen, wo es gelegt und auf der Schachtel wo es verpackt wurde.Matthias Kurz führt aus: „So kann ein Bio-Ei, das man beim Discounter kauft, beispielsweise in Norditalien gelegt, in Holland verpackt und erst dann nach Deutschland transportiert worden sein.” Bei dem von Kurz untersuchten Ei waren es über 2000 Kilometer: „…und da hört bei mir der Spaß auf. Das ist doch kein Öko-Ei mehr!“.Kurz hat für sich eine Gleichung aufgestellt, die für ihn den einzig richtigen Weg darstellt: „Bio + regional = optimal.“

Dennoch vertritt der Bio-Landwirt die Meinung, dass auch eine Boden- und Freilandhaltung seine Berechtigung besitzt. „Wenn ein Bauer ohne Bio-Zertifizierung aus der Region ist, gute und tiergerechte Arbeit macht und dann seine Hühnereier auf dem Markt verkauft, dann würde ich diese den Bio-zertifizierten Eiern aus dem Ausland vorziehen“, stellt Kurz klar. Es gäbe aber auch innerhalb von Deutschland Unterschiede in Bio-Betrieben. „ Man kann das nicht pauschal festhalten. Jeder Betrieb legt neben den Bio-Siegel-Bedingungen auch seine eigenen Standards fest und ob er vielleicht sogar über diese hinaus gehen möchte.” 

Sieht man dem Huhn an, ob es glücklich ist?

Auch wenn Martin Föll in seinem konventionellen Betrieb kaum Vorschriften zur Futtermittelgabe unterliegt, so ist das Futter doch auch fast komplett aus eigenem Anbau. Dieser Anspruch hat seinen Preis, denn „2/3 der Kosten vom Ei sind Futtermittelkosten für die Hühner“, erklärt Föll. Ein Huhn benötige etwa 125 g Futter  pro Tag. Günstiger wäre es natürlich auf herkömmliche Futtermittelanbieter zurückzugreifen. Doch Föll habe die Erfahrung gemacht, dass diese oft Abfallprodukte aus der Nahrungsmittelindustrie verwenden. „Und das bringt wiederum Einbußen in der Legeleistung und im Geschmack des Eis,” weiß der professionelle Hühnerhalter. Somit sei die eigene Futterherstellung besser für Huhn und Mensch. „Man kann ein Huhn nicht zum Legen zwingen,” erklärt Föll. „Erst wenn es dem Huhn gut geht und alle Bedingungen stimmen, legt es auch ein Ei.” 


Bromberghof. Foto: Sarah Graupner

Aber auch das aktive Beobachten der Tiere ist von großer Bedeutung. So macht man es auf dem Bio-zertifizierten Bromberghof. Matthias Kurz und seine Mitarbeiter*innen gehen mindestens dreimal am Tag durch den Stall, um zu schauen, ob alles okay ist. Der Bio-Landwirt ist überzeugt: „Wenn man sich einige Minuten Zeit nimmt kann man am besten abschätzen, wie es der Herde geht und ob ein Fehlverhalten zu erkennen ist.” Dennoch könne man aggressives Verhalten nicht ganz verhindern. „In jeder Herde gibt es mindestens ein Beta-Huhn“, erklärt Kurz. Dieses werde tatsächlich von den ranghöheren Hühnern gemobbt. Man erkennt sie oft an ihrem zerrupften Federkleid. Leider würde es nichts bringen, das Huhn aus der Herde zu nehmen: „Dann suchen sich die Alpha-Tiere einfach ein neues Opfer.“ 

Deswegen ist es umso wichtiger, viele Strukturbereiche im Stall und Gelände zu schaffen, damit auch die Beta-Hühner einen Rückzugsort für sich finden können. Die unterschiedlichen Etagen im Innenstall schaffen dabei etwas Abhilfe. Die ranghöheren, stärkeren Tiere sitzen oben, die rangniedrigeren unten. Wenn es nur eine Ebene gäbe, dann wären die Rangkämpfe wesentlich stärker. So können sich alle gut aus dem Weg gehen.  


Bromberghof. Foto: Matthias Kurz

Auf Eigeninitiative kommt es an

Die Legehennenhaltung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert; augenscheinlich zum Positiven. Sicherlich gibt es in jeder Branche schlechte Betriebe, da sind sich konventioneller und Bio-Landwirt einig. Viele und meist positive Veränderungen basieren auf Eigeninitiative der Landwirt*innen, nicht nur aufgrund von gesetzlichen Regeln und ob der Betrieb eine Bio-Zertifizierung hat oder nicht. 

Regionalität besitzt bei den beiden besuchten Landwirten einen großen Stellenwert. Zum Schluss geben beide Landwirte uns Verbraucher*innen noch einen Tipp:  Am besten solle man doch gerne einmal vorbeikommen und sich persönlich einen Eindruck machen. Mein Fazit bestätigt: Am besten ist es immer noch, wenn man selbst sieht, woher die Eier, die man im Supermarkt kauft, stammen und ob man das so vertreten möchte.

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